08.11.2004 03:39
Lüge und Verlogenheit in der Politik
Titel: Lüge und Verlogenheit in der Politik
Oder: Wie des Kaisers neue Kleider gewebt werden
Autorin: Renate Genth
Sendung: 9.05 - 10.00 Uhr, 11.06.2005 SR 2 KulturRadio
Wiederholung vom 11. Oktober 2003.
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MUSIK:
"Wir schlagen Schaum, wir seifen ein, wir waschen unsere Hände wieder rein ..."
Zitator: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.
Zitatorin: Wer zweimal lügt, dem ja.
Zitator: Und wenn aus einem Funkbericht
Die dreimal dreiste Lüge spricht,
Steht sie als Dogma da. "
SPRECHERIN
So dichtete Robert Gilbert 1944 in seinem New Yorker Asyl. Texter und Komponist von vielen populären Liedern. Er mußte 1933 vor dem vernichtenden Lügendogma der Nationalsozialisten flüchten, Beteiligter einer jüdischen Weltverschwörung zu sein.
SPRECHER
Die Rede ist von der politischen, der öffentlich verkündeten Lüge. Da gibt es die einzelne Lüge. Sie dient nur einer begrenzten Täuschung. Aber seit es Kommunikationsmaschinen gibt, herrscht die breite Propagandalüge vor. Durch vielseitige Wiederholung verstreut, wird sie zum Dogma. Sie dient dazu, viele Menschen hinters Licht zu führen, um Widerstand gegen ungerechte Maßnahmen lahmzulegen.
SPRECHERIN
Wenn Unrecht sich Bahn bricht, wird gelogen. Wie zur Zeit. Es überschattet eine öffentlich verkündete Lüge die nächste. Alle wissen, daß gelogen wird. Wenige glauben noch an die Lügen. Denn: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Das erleichtert es den Lügnern, munter weiterzulügen.
SPRECHER
Alles in allem ist zur Zeit eine politische Sphäre enstanden, in der Lug und Trug an der Tagesordnung sind. Das geht so weit, daß die Lügner mit den größten Machtmitteln, die augenblickliche US-amerikanische Administration, ihre Lügen öffentlich als Erfolg abbuchen. Ihre Repräsentanten bestätigen offen den weltweiten Argwohn, Krieg gegen den Irak mit Lügen gerechtfertigt zu haben und demonstrieren mit dieser Geste den akkumulierten Machttriumph. Nach dem Motto: Seht her wir belügen euch von allen Seiten und können euch gleichzeitig zwingen, unseren Lügen zu folgen und tun, was wir wollen. Das erzeugte Ohnmachtsgefühl vieler Menschen ist sehr wahrscheinlich beabsichtigt.
SPRECHERIN
Nun könnte man sich zynisch beruhigen. Lüge und Politik verstehen sich gut. Politiker haben seit jeher einen schlechten Ruf. Hannah Arendt, die politische Theoretikerin einer substanziellen Demokratie, meint:
O-TON HANNAH ARENDT (aus dem Essay: Wahrheit in der Politik)
»Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören.«
SPRECHERIN
Auch teilen viele die Ansicht, die Erich Kästner als seine Erfahrung formulierte:
Zitator: Man meldet, daß der Brotpreis stieg.
Zitatorin: Man sagt, ihr müßtet in den Krieg,
Zitator: Man schmiert euch an, man seift euch ein,
Zitatorin: Man legt euch trocken, man legt euch hinein.
Man nennt das Politik.
SPRECHER
Lügen zerstört Vertrauen. Und vielfache politische Lügen zerstören das Vertrauen in Politik und bewirken, daß sich Menschen angeekelt davon abwenden. So kann man mit ihnen machen, was man will und die eigenen Ziele ungestört verfolgen. Ob das ein geheimer Nebeneffekt des augenblicklichen Lügenkonzerts sein könnte? Daß Kriege mit Lügen eingeleitet werden, ist nicht sonderlich neu. Joachim Perels, Professor in Hannover, meint:
O-TON PERELS
»Also wenn man an Lüge in der Politik denkt, fällt mir als erstes die Lüge Hitlers ein, was den Angriff auf Polen angeht. Dort im Rundfunk vermeldet und immer wiederholt und in den Zeitungen stand: 5.45 wird zurückgeschossen. Das bezog sich auf den 1. September 1939. Also auch dieses grauenhafte Regiment war genötigt, mit einer Lüge zu tarnen, was es wirklich tat. Und dies war in einer Diktatur, in einer furchtbaren Diktatur.«
SPRECHERIN
Am Abend des 31.August 1939 tarnten sich SS-Leute als Polen und überfielen den Radiosender Gleiwitz an der deutsch-polnischen Grenze. Als Polen hätten sie damit eine schwerwiegende Grenzverletzung begangen. Am darauffolgenden Tag marschierte die deutsche Wehrmacht unter dieser Lüge los. Der kriegerische Überfall auf Polen wurde als Verteidigung getarnt. Daß sich die Armee schon seit Monaten auf diesen Krieg vorbereitet hatte, wurde verschwiegen.
O-TON PERELS
»Wenn man einen Massenkrieg im Osten führt oder im Westen schon angefangen hat, dann bedarf es einer Zustimmungsbereitschaft, jedenfalls ansatzweise Zustimmungsbereitschaft, die man natürlich durch Lügen sehr viel besser herbeiführen kann, als wenn man die Wahrheit sagt, daß der Krieg gegen Polen in 5 Jahren enden wird mit dem Tod von insgesamt 50 Millionen Menschen. Wenn man diese Wahrheit am Anfang sagen würde, wäre die Mobilisierung, glaube ich, gar nicht möglich. Also selbst eine Diktatur, die sozusagen die Manipulation der öffentlichen Meinung voll in den Händen hält, die Zensur ausübt, die Gegenpositionen in der Zeitungswelt unterdrückt, ist genötigt solche Manipulationen als Antriebskraft ihrer Politik zu benutzen.«
SPRECHERIN
Die Wirklichkeit wurde weggelogen, damit die meisten glaubten, sie blieben verschont. Je nach politischer Einstellung hoffte man, es werde schon nicht so schlimm kommen, und machte mit. Wenige haben sich dabei klar gemacht, daß sie gar nicht so machtlos ausgeliefert waren, wenn sie sich nur mit anderen zusammengetan hätten, um den mörderischen Lügnern das Handwerk zu legen.
O-TON PERELS
»Auch der Nationalsozialismus, auch die Nationalsozialisten waren darauf angewiesen, daß sie von der Mehrheit des Volkes jedenfalls Loyalität empfingen, weil sie ihre Herrschaft nicht als eine einfache Diktatur im klassischen Sinne konstituieren konnten, sondern sie brauchten Massenunterstützung, zumal bei den ungeheuren Plänen, die sie hatten.«
SPRECHER
Die Nationalsozialisten logen und betrogen, selbst da wo sie die Wahrheit ihrer Absichten und Ziele verkündeten. Ihre ganze Herrschaft bewegte sich auf dem Boden eines Lügendogmas und folgte dem absurden Ziel der Herrschaft über die Welt. Daß das unmöglich ist, erfahren noch alle, die es versuchen. Aber vorher gelingt es ihnen, die halbe Welt mit ihren Kriegen zu überziehen und zu verheeren.
SPRECHERIN
Noch eher muß in repräsentativen Demokratien ein Krieg mit Lügen eingeleitet werden. So explodierte am 15. Februar 1898 der US-Panzerkreuzer USS Maine im Hafen von Havanna. 260 Menschen starben. Der damalige US-Präsident William McKinley, nahm die Explosion zum Anlaß, Spanien den Krieg zu erklären. Die Presse unterstützte ihn mit einem Sperrfeuer von Greuelmeldungen. Die spanischen Truppen wurden schnell besiegt. Nach diesem "herrlichen kleinen Krieg", so Theodore Roosevelt, eroberten die USA noch Puerto Rico und eigneten sich im Friedensvertrag von Paris am 10. Dezember 1898 dazu Kuba und die Philippinen an. Dreizehn Jahre später wurde die Lüge aufgedeckt.
SPRECHER
Die US-amerikanische Administration setzte auf die Tradition der bombardierten Schiffe. So unterschlug der Geheimdienst 1941 die Nachricht des japanischen Großangriffs in Pearl Harbour, um Hitler zu einer Kriegserklärung zu bringen und offiziell in den Krieg einzutreten. Vorher hatte die Generalität die wichtigen Kriegsschiffe vorsorglich entfernt. Und im Hafen von Tongking in Vietnam logen sie 1964, es wären zwei US-Schiffe bombardiert worden, um gegen Nordvietnam Krieg zu rechtfertigen. Das Schiffeversenken war die beliebteste Wahl, um Kriegspropaganda zu begründen.
SPRECHERIN
1962 stellte man neue Überlegungen an; zum Beispiel eine US-amerikanische Kleinstadt zu bombardieren, um gegen Kuba Krieg führen zu können; Präsident Kennedy ging nicht darauf ein. Doch das Lügenarsenal wurde wie das Waffenarsenal erweitert. Den Irakkrieg 1991 beförderte man mit der Greuelmeldung, daß die Iraker Babies aus Brutkästen gerissen und auf den Boden geschmettert hätten. Diese Lüge war einer besonders perversen Phantasie entsprungen und auf Bestellung von der Tochter eines kuwaitischen Diplomaten vorgebracht worden. Sie wirkte. Alle Welt war entsetzt. Der Krieg war gerettet.
SPRECHER
Auch die deutsche Rot-Grüne-Koalition übte sich in der Kriegslüge, um in den Kosovo-Krieg ziehen zu können. Die Massaker unter der Bevölkerung, die als Anlaß behauptet wurden, wurden durch den kriegerischen Angriff erst erzeugt.
SPRECHERIN
Im kaum vergangenen Krieg gegen den Irak 2003 tönte man die Behauptung in die Mikrophone, daß das irakische Regime über Massenvernichtungswaffen verfüge. Aber es war alles mal ein Scherz und nicht so gemeint; so oder ähnlich gibt man mittlerweile offen zu. Die Welt ist fassungslos. Nur die US-amerikanische Anhängerschaft ist selbst so demoralisiert, daß es sie nicht stört. Sie urteilt vermutlich nach dem Motto: Krieg ist gut, wenn er uns nicht trifft. Denn Krieg gilt als Geschäft mit anderen Mitteln.
SPRECHER
Selbst die Auseinandersetzungen zwischen der US-Administration und der UNO im Vorfeld des Kriegs gegen den Irak erscheinen nachträglich als kalkuliertes Täuschungsmanöver, um die Sicherheit der eigenen Truppen zu gewährleisten. Die US-Regierung ließ mit Lügengetöse durch die UNO das irakische Regime faktisch entwaffnen, um dann triumphal mit einer Demonstration der eigenen Waffen dem Rest der Welt zu drohen und Untertanenschaft einzufordern. Erfolgreich wie es sich zeigt. Die Regierungschefs und viele Poltiker huldigen international diesem imperialen Erfolg, bewirkt aus Lüge und Waffengewalt.
SPRECHERIN
Daß die Lüge dem Politiker zukommt, der gegen Konkurrenten Macht etablieren und herrschen will, wissen wir von Machiavelli. Er hat das Lügen unverhohlen zu den Qualifikationen eines Herrschers gezählt:
Zitator:
Ein kluger Herrscher kann und soll daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereicht. ... Auch wird es einem Herrscher nie an guten Gründen fehlen, um seinen Wortbruch zu beschönigen. ... Freilich ist es nötig, ... in der Verstellung und Falschheit ein Meister zu sein. ... fromm, treu, menschlich, gottesfürchtig und ehrlich zu scheinen, ist nützlich ... aber auch das Böse tun, wenn es sein muß. ... Denn das gemeine Volk hält es stets mit dem Schein und dem Ausgang einer Sache.
SPRECHERIN
Wie sich die Rezeptur und die Bilder gleichen, wenn man an die inbrünstig betenden Regierungsmitglieder der augenblicklichen US-Administration denkt; vom Fernsehen gefilmt, damit es die Welt sieht. Das ganze Gebaren mutet wie eine Satire auf Machiavellis Ratschläge an.
SPRECHER
Die meisten, die sich im Kleinen und im Großen zu Herrschern aufgeschwungen haben, haben Machiavellis Rat beherzigt. Sie haben Täuschungsmanöver inszeniert, um das gemeine Volk von der Einsicht in die wirklichen Absichten wegzulocken. Aber Machiavelli empfiehlt auch, das Volk zufriedenzustellen und es nicht verarmen zu lassen, um Aufruhr zu vermeiden und den sozialen Frieden zu sichern. In der Hinsicht wird er nicht befolgt.
SPRECHERIN
Die von Machiavelli empfohlene Lüge hat zur Zeit Hochkonjunktur. Im zeitgenössischen Bild gesprochen: Es werden Streubomben an Lügen verschossen. Sogar einen Lügenausschuß gibt es im Bundestag: weil die amtierende Bundesregierung im Wahlkampf nicht die Wahrheit über die Haushaltslage mitgeteilt hatte, als sei diese Täuschung der ganz große Skandal. Dabei könnte dort ehrlicherweise nur untersucht werden, wie man Eulen nach Athen trägt - und Lügen in die Politik. Auch in Großbritannien wurde ein Lügenausschuß wegen der Kriegs- Lügen im Krieg gegen den Irak gegründet. Und auch da hat man vorher genau gewußt, daß gelogen wird. Lügen sind zeugungskräftig. Der Lügenausschuß trägt seinen Namen zu recht. Er dient dem Lügen der Politiker, daß sie guten Glaubens gehandelt hätten.
O-TON MUSIK "Wir schlagen Schaum, wir seifen ein, ..."
SPRECHER
Auch in Wahlen scheint Lügen, Methode zu sein. Die Wähler nehmen es bislang noch mit Fassung, wenn sie als Steigbügelhalter mißbraucht werden, bis die Politiker im Sattel sitzen. Dann reiten die los, - und partout nicht in die Richtung, die sie den Wählern vorgegaukelt haben. Joachim Perels meint:
O-TON PERELS
»Wenn man beispielsweise von der jetzigen Bundesregierung, von dem Bundeskanzler, sich die Formel, die immer wieder im Wahlkampf verwendet worden ist, anschaut. Da heißt es: Es gehe bei den neuen Änderungen im Sozialhilferecht, auf dem Felde der Gesundheitspolitik, um einen Umbau, nicht etwa um einen Abbau des Sozialstaats, so ist diese Formel Umbau eine Formel, - ich will das nicht als intentionale Lüge qualifizieren - aber eine Formel, die die Unwahrheit zum Ausdruck bringt. Denn wenn man sich die Vorschläge anguckt, die der Bundeskanzler in seiner sogenannten Reformrede - es ist ja eine Gegenreformrede gewesen - anschaut, so sind große Teile dieser Rede darauf gerichtet, ... den Ärmsten der Armen noch mehr zu nehmen und denen, die ohnehin schon genug haben, und die unterstützt oder befördert worden sind, durch die Steuerreform, durch das Aussetzen der Körperschaftssteuer für zwei Jahre, da sind über 40 Milliarden dem Staat in Euro verloren gegangen, die kaum oder weniger zu belasten, während die Ärmsten der Armen weiter belastet werden und ihre sozialen Schutzvorkehrungen in Teilen gekappt werden; wenn das kein Angriff auf sozialstaatliche Positionen ist, dann weiß ich nicht, was man damit benennen will.«
SPRECHERIN
Politik hat mit Macht zu tun. Macht beruht stets auf der Zustimmung einer Mehrheit von Menschen. In einer repräsentativen Parteiendemokratie sind die Politiker zumindest in Wahlzeiten dringend auf den Konsens der Bürger angewiesen, auf ihr Kreuzchen in der Wahlkabine. Danach haben sie freie Hand gegenüber den Wählern, befreien sich von den lästigen Versprechen und lassen sich von Lobbyisten geldmächtiger Interessengruppen vorantreiben oder sind selber Lobbyisten. Eine große Zahl von Bundestagsabgeordneten ist in Lohn und Brot bei Groß-Konzernen. Wird das zum System, dann sind sie nicht Volksvertreter, sondern Vertreter einer Oligarchie, also der Herrschaft einer kleinen Gruppe. Im politischen Wettbewerb gilt dann die Frage: wer setzt die Ziele der Geld-Oligarchie gegen vitale Interessen der Bevölkerung durch?
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Und die Möglichkeit, daß die Demokratie so mangelhaft funktioniert, ist natürlich dadurch gegeben, daß die Politiker einmal gewählt, von den Wählern nicht mehr kontrollierbar sind. erst bei der nächsten Wahl können sie sagen, nein diese wollen wir nicht, vorausgesetzt sie erfahren überhaupt von diesen Machenschaften. D.h. es gibt kein direktes Band. Es gibt eben keine direkte Demokratie, in der Wähler mit den Politikern verbunden bleiben und die Wähler, die Politiker darauf hinweisen können, daß sie dafür nicht gewählt sind, für das, was sie tun. Also das fehlt bei uns total. Die repräsentative Demokratie hat da einen Mangel. Das macht sich bemerkbar.«
SPRECHERIN
So Claudia von Werlhof; Professorin in Innsbruck. Wahlversprechen stellen sich regelmäßig als Lügen heraus. Wenn das so ist, dann hat die heutige Demokratie tatsächlich einen Defekt, der weidlich ausgenutzt wird. Sie funktioniert nur noch technisch, aber nicht inhaltlich. Dann muß sie erneuert werden. Eine wichtige Reform würde darin bestehen, daß Politiker in Parlament und Regierung von unabhängigen Bürgerkomitees evaluiert werden, so wie es heute mit Professoren und Lehrern gemacht wird. Und daß neue Regeln aufgestellt werden. Was Politiker für die Bevölkerung beschließen, müssen zuallererst sie selber erfüllen; Kürzung der Bezüge, Erhöhung des Rentenalters, Verbot von Nebeneinkünften. Außerdem muß in Zeiten allgemein verordneter Käuflichkeit bei industriellen Großprojekten scharf kontrolliert werden, daß keine Schmiergelder fließen.
SPRECHER
Vorab muß man klären, was sich hinter den Lügen verbirgt. Zu dem Zweck muß die politische Sprache aus der Verlogenheit befreit werden. Die Sprache ist Lügenmedium wie Lügendetektor. Viele Begriffe werden öffentlich zu Lügenvokabeln und so inhaltslos manipulierbar wie Geldscheine. Sie werden in ihrem Inhalt einfach verkehrt und verlogen, um die Menschen hinters Licht zu führen, wie Claudia von Werlhof meint:
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Das Reden von der Reform ist ja genau so eine Lüge. es ist keine Re-Form, es ist De-Form oder es ist überhaupt das Gegenteil davon. ... Heute haben ja alle Begriffe den gegenteiligen Charakter von dem, als das sie erscheinen. Wenn jemand Reform hört, denkt er, ja, das ist ja notwendig und ist gut. Es ist genau das Gegenteil der Fall.«
O-TON MUSIK "Wir schlagen Schaum, wir seifen ein, ..."
O-TON PERELS
»Freiheit ist zunächst mal ein großartiger Emanzipationsbegriff, der immer einschließt die Freiheit aller. Und nicht das Privileg weniger. Also die Verwechslung von Freiheit und Privileg ist auch eine Sache, die dominierend geworden ist.«
SPRECHERIN
So Joachim Perels. Freiheit fungiert auch als Synonym für Übergriff, wenn es um den ungehinderten Zugang für Großkonzerne zu allen Bereichen des Lebens geht; und Freiheit steht für Willkür, wenn es darum geht, eigenmächtig zu heuern und zu feuern. Freiheit deckt viele Aktionen, für die es andere treffende Worte gibt.
SPRECHER
Ein machiavellistisches Lügenkonstrukt ist der Begriff Präventivkrieg als Deckname für den völkerrechtswidrigen Überfall und Angriffskrieg.
SPRECHERIN
Aber auch Unsinnsworte wie Ich-AG gehören zum Täuschungsarsenal. Sie dienen dazu Menschen sozial hinauszuwerfen, nach dem Motto: Das Boot ist voll, schwimm oder geh unter.
SPRECHER
Verarmung wird Selbstverantwortung genannt.
SPRECHERIN
Die Menschen als Produktionsfaktoren hin und herschieben zu können, wird Flexibilisierung genannt und dient dazu, ihnen jede Zugehörigkeit abzutrainieren.
SPRECHER
Leistung steht für Geld, je mehr davon, als desto größer gilt die Leistung und nicht umgekehrt. Was eine Nachtschwester auf der Intensivstation leistet, ist nur gering entlohnt; ergo eine geringe Leistung, im Gegensatz zur Tätigkeit eines Börsenspekulanten.
SPRECHERIN
Entsprechend wird Reichtum Leistungsstärke genannt.
O-TON PERELS
»Es wird durch eine Formelsprache von den wirklichen Dingen abgelenkt und sie werden gewissermaßen durch Sprachgebung, die Elemente von Lüge beinhalten kann, die aber auch Elemente von Unwahrheit, oder auch von Verschleierung beinhalten kann, gewissermaßen sprachlich zum Verschwinden gebracht. Das hat man durchgängig.«
SPRECHER
Zu den Täuschungsmanövern gehört auch, daß Fehlinformationen ausgestreut werden, damit die Wahrheit nicht dort gesucht wird, wo sie sofort auffällt.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Das ist diese andere Ebene des Lügens, daß nie reiner Wein eingeschenkt wird, daß den Leuten gesagt wird: "Wir müssen sparen, wir haben über unsere Verhältnisse gelebt". Das sehen wir ja ein, gutmütig, wie die Leute immer noch sind, komischerweise, eben weil sie nicht so eine perverse Phantasie haben, und dann zieht man ihnen das Fell über die Ohren. Dann heißt es eben wie in Österreich, das Geld geht plötzlich in die Abfangjäger, geht zum Militär. Und dann fangen die an zu sagen: "Ja Moment mal, das war ja gelogen, wir haben ja nicht das Geld bezahlt, damit wir von unseren Schulden kommen als Nation, sondern nur damit wieder aufgerüstet wird." Da merken die Leute plötzlich auch. Sie werden belogen.«
SPRECHERIN
Sparen gilt mittlerweile weltweit als das Täuschungsmanöver für die Umverteilung, Geld von arm zu reich umzulenken.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOFW
»Das Geld geht nicht deswegen qua Sparpaket uns verloren, weil wir über unsere Verhältnsse gelebt hätten, die meisten Leute haben nicht unbedingt über ihre Verhältnisse gelebt, sondern weil das Geld eben aus der Sicht der Konzerne und des Spekulationskapitals dahingehört, wo das Geld am meisten bringt. Und das ist als Spekulation. Also wird das Geld dorthin umgeschichtet, weil es dort mehr bringt. Es wäre sozusagen ein Luxus, Geld bei denen zu lassen, die es nur zum Essen brauchen.«
O-TON MUSIK: BRECHT "Ballade vom Baum und den Ästen"
Und sie fraßen mit unverschämten Reden die Töpfe leer
In denen schon fast nichts mehr war.
Hier werden wir's recht toll treiben, sagten sie
Hier können wir wundervoll bleiben sagten sie.
SPRECHER
Die politische Lüge hat mit Tatsachen zu tun; also mit dem, was getan wurde, und mit dem, was getan wird und getan werden soll. Wenn das aber so unpopulär ist, daß es kaum die Zustimmung vieler Menschen erlangen könnte, wenn es mit Unrecht, Raub, Massenmord, gewalttätiger Herrschaft, Krieg und anmaßender Bereicherung zu tun hat, dann wird entweder Terror ausgeübt, oder es wird gelogen. Oder beides. Ist es gar der Wahnsinn, die Methode gewinnt, dann entsteht aus dem Lügengespinst das ideologische Lügendogma. Und das kann sich verheerend auswirken.
O-TON Arendt (S.83/84)
»Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, daß es einen Ersatz für die Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, daß die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern daß der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird. ... Konsequentes Lügen ist im wahrsten Sinne des Wortes bodenlos und stürzt Menschen ins Bodenlose, ohne je imstande zu sein, einen anderen Boden, auf dem Menschen stehen könnten zu errichten.«
SPRECHER
Die Überzeugungskraft des Täuschungsmanövers kann dazu führen, daß der Lügner auf die eigenen Tricks und Tücken selber hereinfällt, wie Arendt sagt:
O-TON Arendt (S.78;80)
»Eine mittelalterliche Anekdote mag erläutern, daß es unter Umständen gar nicht so leicht ist, andere zu täuschen, ohne selbst getäuscht zu werden. Sie berichtet davon, wie eine Schildwache, die wie üblich auf dem Wachturm der Stadt nach Feinden ausspähte, beschloß, der Stadt einen Streich zu spielen und im tiefsten Frieden das Anrücken der Feinde zu melden. Der Erfolg war überwältigend; nicht nur lief die ganze Stadt zu den Mauern, sondern als letzter lief die Schildwache mit. Der Spaß hat einen ernsten Untergrund; er zeigt an, wie sehr unser Realitätsbewußtsein davon bestimmt ist, daß wir die Welt mit anderen teilen, und welche Charakterstärke dazu gehört, an Wahrem oder Erlogenem festzuhalten, an das andere nicht glauben oder das ihnen unbekannt ist. Das besagt aber, daß der Lügner umso sicherer das Opfer der eigenen Lügen wird, je erfolgreicher er sie in der Welt hat verbreiten können.«
O-TON MUSIK: "Wir schlagen Schaum, wir seifen ein, ...."
SPRECHER
Wenn eine politische Gruppierung umfassende Ziele verfolgt, die gegen die Mehrheit der Menschen gerichtet sind, muß die Wirklichkeit umgelogen werden, weil nur noch Verlogenheit übertüncht, daß das Geschehen dreist und ungeheuerlich ist. Wenn Politiker sich bemühen, des Kaisers neue Kleider zu erdichten und zu rühmen, dann ist er nackt. Wenn Lüge an Lüge gestrickt wird, dann stellt sich die Frage, was geschieht da eigentlich?
O-TON PERELS
»Ich glaube, daß die politischen Widersprüche in einer Weise zugespitzt sind in Wahrheit, daß sie zu benennen für die Oberen, um mal diesen Brechtschen Ausdruck zu verwenden, ungeheure Folgen hätte. Also wenn man wirklich einen Angriff auf zentrale Elemente, um mal in der Innenpolitik zu bleiben, des Sozialstaates, der ja eine sozialdemokratische Errungenschaft der Abfederung großer Teile der Bevölkerung durch soziale Sicherheiten im Alter, bei Krankheit etc. ist. Wenn man dieses System erodieren lassen will, aus Gründen, die jetzt erst mal dahinstehen, dann ist es sozusagen für einen selbst, ich würde sagen, tödlich. Wenn man das wirkliche Geschehen, was man da in Gang setzt, offensiv und breit und differenziert an den Tag brächte. Man muß mit Formeln arbeiten, um die ungeheure Dimension dieses Einschnitts nicht zur Kenntnis kommen zu lassen.«
SPRECHERIN
Demokratie ist die Staatsform, in der Gerechtigkeit verwirklicht werden kann. Gleichheit und Freiheit sind verbrieft. Räuberische und habgierige Menschen können in verträgliche Schranken gewiesen werden. Der Wohlstand ist wohl verteilt. Das demokratische Westeuropa erlebte nach den Mord- und Raubzügen der Nationalsozialisten einige Jahrzehnte lang ein solch goldenes Zeitalter. Aber Gold, das weiß man, weckt räuberische Begehrlichkeit. Und verbreiteter Wohlstand reizt die herumsuchende Aneignungsgier geld-oligarchischer Gruppen. Lebendige Demokratie widersteht solchen Neigungen, wenn viele über einen empfindlichen Gerechtigkeitssinn verfügen. Vor allem die gewählten Repräsentanten müssen damit begabt sein. Nur ist diese demokratische Grundqualifikation manchmal unterentwickelt.
SPRECHER
Wirkliche Demokratie ist zunächst kleinräumig und muß sich von daher ausbreiten. Wie aber wenn die demokratische Willensbildung nicht mehr funktionieren kann, weil sich das Unheil transnational, oder wie man es heute nennt, global zusammenbraut und zahlreiche Politiker sich als Vertreter einer weltweiten Oligarchie aufführen und deren Interessen gegenüber den Bürgern durchzusetzen versuchen ?
O-TON PERELS
»In der Außenpolitik ist es noch dramatischer. Ich glaube, daß wir in der Außenpolitik, also in der jetzigen Rolle der Vereinigten Staaten in eine ganz neue Phase der Weltpolitik eingetreten sind. Die Vereinigten Staaten klinken sich aus aus der bisherigen Bindung des Völkerrechts, bestimmen selber, was sie für ihr Machtinteresse für richtig halten. Das haben die Vereinigten Staaten des öfteren getan, daß sie aus dem Völkerrecht rausgesprungen sind. Aber das war, im Verhältnis zu dem, was jetzt geschieht, ich drücke es einmal zu vorsichtig aus, punktuelles Herausspringen. Jetzt ist es ein systematisches.«
SPRECHERIN
Die Weltpolitik gerät aus dem Ruder. US-Amerika mit seinen tönenden Fanfaren von Demokratie und Freiheit löst alle internationalen Verträge auf, die nach vielen Kriegen zur Zivilisierung der Welt beitragen sollten. Das nennt Perels:
O-TON PERELS
»Eine neue Stufe der Überhebung der größten Führungsmacht der Welt, über die wenigen, aber immerhin vorhandenen Verkehrsregeln der großen Staaten untereinander. Und wenn dies geschieht, dann bin ich ja genötigt, den Vorgang nun nicht offensiv, sagen wir mal, zu begründen, sondern durch Zusatzformeln zu verschleiern, was da eigentlich wirklich geschieht. Dann heißt es, wir sind eine Regierung, die Demokratie exportiert, nicht etwa daß wir Interessen, was das Öl im Irak angeht, hätten, sondern wir wollen, daß das Volk selbst regiert. Aber praktisch wollen wir doch erst einmal eine amerikanische Regierung im Irak installieren. Also die Wirklichkeit der Durchbrechung des bisherigen Reglements. Das kann von einer Regierung quasi nicht offensiv begründet werden. Das kann nur durch viele Verschleierungstechniken halb unkenntlich gemacht werden. ... Das ist ein solch gravierender Einschnitt, der nur mit solchen Formeln, wie daß die Suprematie, hat , glaube ich, Bush in seiner Rede zum Irakkrieg gesagt, die Suprematie der Vereinigten Staaten ist das Beste für die Sicherheit der ganzen Welt.«
SPRECHER
Das politische Panorama, das vor der Welt ausgebreitet wird, scheint den Verschwörungsspekulationen der historischen Trickkiste entnommen und deshalb vielen kaum glaubwürdig. Es entsteht eine groteske Wirklichkeit, die sich in den politischen und sozialen Alltag hineindrängt, ohne daß die betroffenen Völker gefragt würden. In den USA spielt sich ein Schauspiel ab, das nach den Vorstellungen der beinahe untergegangenen politischen Linken verfaßt zu sein scheint.
O-TON PERELS
»Also wenn man die Regierungsmitglieder der Regierung Bush durchgeht, so bildet in dieser Regierung die ÖL-Lobby einen erheblichen Teil. Und der Regierungschef selber gehört auch dieser Lobby an. Das heißt, das was es ohnehin schon immer und oft gegeben hat, was Eisenhower den militärisch-industriellen Komplex nannte, aber er hat das gesagt, um das zu kritisieren, nicht zu propagieren, jetzt wird es nicht kritisiert, jetzt wird es propagiert, das heißt, die Führungsschicht ist auf diese Interessen bezogen.«
SPRECHER
Der militärisch-industrielle Komplex als Regierung hieße: Krieg als alltägliches Geschäft, und bedeutet die totale Durchsetzung von Geld-Interessen mit Gewalt. Dieser Kaiser wäre in der Tat so nackt, daß man die Entblößung nur mit Flicken aus Verlogenheit als neue bunte Kleider darstellen könnte.
O-TON PERELS
»Ich glaube, da hat sich auch in der Regierungsstruktur der Vereinigten Staaten durchaus etwas verändert, wenn man das mit Regierungen vergleicht, die es dort gegeben hat, ... Das waren Regierungen, die in irgendeiner Weise noch das gemeine Wohl als Anspruch hatten und zum Teil dem auch gefolgt sind. Man kann ein Gedankenexperiment machen. Man stelle sich vor, die Kubakrise 1962 hätte stattgefunden und der Regierungschef wäre nicht Kennedy, sondern wäre Bush gewesen. Ich wage die nicht zu beweisende Prognose, daß unter Bush die Welt zum Abgrund geführt worden wäre. Während Kennedy im Sinne einer ansatzweise Gemeinwohl-Fragestellung den Versuch unternommen hat, in der Kuba-Krise das Militär ins zweite Glied zu stellen und selber mit seinen Beratern überlegen, wie kann man erreichen, daß man diesen Konflikt löst, ohne daß die Menschheit dabei zugrunde geht. Diese Möglichkeit bestand ja. Und er hat das so gemacht, daß er versucht hat, sich in die Lage des Gegners zu versetzen und versucht hat, dem Gegner eine Brücke zu bauen, die er am Ende auch betreten hat. Und man hat dann äußerlich einen gewissen Kompromiß geschlossen. Dieses Denken in der Gemeinwohlvorstellung für die ganze Welt, jedenfalls dem Anspruch nach und auch teilweise der Praxis nach, ist meines Erachtens in einer Regierung, die sozusagen der verlängerte Arm von reinen Partikularinteressen ist, in den Vereinigten Staaten nicht mehr da. Und dadurch sind auch die Legitimationsprobleme viel größer.«
SPRECHERIN
In diesem Zusammenhang taucht alarmierend für die Demokratie auf, daß inhaltliche Opposition aus dem Parlament verschwindet. Sie verlagert sich auf die Zivilgesellschaft, die entsprechend von der US-Administration attackiert wird.
O-TON PERELS
»Ich glaube, ... daß in den Vereinigten Staaten selber in den parlamentarischen Institutionen Gegenkräfte fast gegen Null gehen. ... daß der Kongreß ein verlängertes Instrument geworden ist der Regierung Bush und es keine beachtlichen Gegenfiguren mehr gibt. ... Und der zweite Faktor ist ... das Ausfallen einer internationalen Gegenkraft. ... Die Sowjetunion war auch immer ein Faktor, mit dem die Vereinigten Staaten auf der internationalen Bühne machtpolitisch rechnen mußten. So wie die Sowjetunion beispielsweise 1956 als Frankreich und England Ägypten besetzten und bombardierten, eine ungeheure Drohung ausgesprochen hat und damit bewirkt hat, daß diese Intervention aufgegeben wurde. Oder umgekehrt unter positiven Vorzeichen, daß die Kooperationsformen zwischen der Sowjetunion und amerikanischen Regierungen etwa bei der Abrüstung - die frühen Atomwaffensperrverträge, Nicht-Weitergabe von Atomwaffen, Reduzierung der Raketenrüstung, aber auch andere Formen von internationalen Konflikten. ... Und dieser zentrale Gegenfaktor ist mit dem Wegfall des Ostblocks ... weitestgehend weggefallen.«
SPRECHERIN
Wenn die Balance der politischen Kräfte wegfällt, wird sichtbar, wie brüchig Demokratie ist, vor allem wenn hinzukommt, daß transnationale Kräfte sie verwerfen, um ihre einseitigen von keinem Gemeinwohl begrenzten Interessen durchzusetzen und dies mit einer Lügenpropaganda sondergleichen konzertieren.
O-TON PERELS
»Die Lüge, die Unwahrheit bezieht sich auf eine ganze Reihe von Verwerfungen, die, glaube ich, zugenommen haben. ... Es ist, glaube ich, ein Punkt, wo viele Fragen inzwischen in einer Weise herrschaftlich behandelt werden und nicht von den Interessenbedürfnissen der Menschen her. Also daß die Vereinigten Staaten das Kyoto-Protokoll ... in der Bekämpfung der Gefahren, die aus der Atmosphäre kommen, wenn man sich das Ozonloch weiterentwickeln läßt, daß sie gegen dieses Protokoll Stellung bezogen haben. ... Der internationale Strafgerichtshof war ja eine Einrichtung, die eigentlich in der Tradition amerikanischen Völkerrechtsdenkens nach 1945 stand. ... und sie haben jetzt diesen Gedanken voll auf den Haufen der Geschichte geworfen.... Als Drittes kann man nennen, was Verwerfung und Gefährdung der Menschheit angeht, daß die Vereinigten Staaten beanspruchen, ein Abwehrprogramm gegen Raketen zu entwickeln, mit denen sie jede Rakete, die auf Amerika zufliegen kann, abschießen können. Und man vergißt auch, ... daß sie nämlich sozusagen im Hinterhalt mit solchen Schutzvorkehrungen selber unverwundbar sind, aber jeden anderen verwunden können. ... daß sie ein ungeheures Drohpotential haben. ... Also die Dynamik der Verwerfung nimmt so dramatisch zu. ... In einer solchen Lage ist natürlich die öffentliche Meinung oder die Verfügung über das Bewußtsein der Menschen eine politisch strategisch ganz zentrale Fragestellung.«
SPRECHERIN
Über solche Zeiten sprach Augustinus vor anderthalb Jahrtausenden. Der berühmte christliche Kirchenlehrer des 400 Jahrhunderts schrieb in seinem Buch vom Gottesstaat, einer grundlegenden christlichen Staatstheorie, gegen die Hab- und Machtgier, die sich gern und innig mit der Lüge verbindet:
Zitator:
»Was sind Staaten ohne Gerechtigkeit anderes als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anderes als kleine Staatsgebilde. Auch da ist eine Schar von Menschen, die ... sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt und nach fester Übereinkunft die Beute teilt. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, daß Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne weiteres den Namen Staat an. Und das nicht, weil die Habgier offenkundig hingeschwunden ist, sondern weil der Raub straflos bleibt. Deshalb war die Antwort zutreffend und wahr, die einst ein gefangener Seeräuber Alexander dem Großen gab. Denn als der Herrscher den Mann fragte, was ihm einfalle, das Meer unsicher zu machen, erwiderte dieser freimütig: "Und was fällt dir ein, das Erdreich unsicher zu machen? Freilich, weil ich es mit einem kleinen Fahrzeug tue, nennt man mich Räuber. Du tust es mit einer großen Flotte und wirst Herrscher genannt."«
O-TON MUSIK: Brecht "Ballade vom Baum und den Ästen"
Und sie fraßen mit unverschämten Reden die Töpfe leer
In denen schon fast nichts mehr war.
Hier werden wir s recht toll treiben, sagten sie
Hier können wir wundervoll bleiben sagten sie.
Gut, das sagen die Äste
Aber der Baumstamm schweigt
Mehr her, sagen die Gäste
Bis der Wirt die Rechnung zeigt.
SPRECHERIN
Gerechtigkeit heißt zuerst, daß alle ein gleiches Recht auf ein gutes Leben haben. Ein gutes Leben, das ist der gleiche Zugang zu den Gütern der Erde und der menschlichen Welt; der Erde wird nicht zu viel entnommen, weil Menschen nachkommen, die auch an den Gütern teilhaben. Ebenso wenig verdrängen Nachkommende die Älteren und nehmen ihnen nicht das Erworbene weg. Außerdem sind da noch die anderen Lebewesen, die Recht auf ihr gutes Leben haben. Gerechtigkeit: das ist ein Leben ohne Habgier, Übergriff, Raub und Ausbeutung. Man teilt möglichst gleich. Die Reichen teilen ihren Wohlstand dem Gemeinwesen im doppelten Sinn mit, sie teilen ihn mit anderen. So war es schon in der frühen Demokratie Athens.
SPRECHER
Seit einiger Zeit taucht das demokratische Prinzip der Gleichheit in keiner programmatischen Rede mehr auf. Gleichheit ist aus der politischen Wahrnehmung verdrängt. Sie wird beseitigt. Aber sie gehört zur Demokratie wie Freiheit, Verantwortung und Gemeinsinn. Sie ergeben gemeinsam Gerechtigkeit. Und es gibt nur diese e_i_n_e Gerechtigkeit, keine neue, keine umdefinierte und umgelogene und vielfach aufgespaltene.
SPRECHERIN
In geldbewegten Zeiten heißt das, daß Einkommensunterschiede nicht zu groß werden und die Reichen nicht den Staat zur weiteren Bereicherung manipulieren. Maßlose Gier, Geld im Übermaß zu sammeln und damit vielen anderen wegzunehmen, gerät zur maßlosen Ungerechtigkeit. Übergroßer Reichtum mit Armut konfrontiert, ist Räuberei. Egal wie legal. Ein Staat oder ein transnationales System wie beispielsweise die EU, die ein solches Gebaren unterstützen, sind gemäß Augustinus eine große Räuberbande. Und vorhandener großer Reichtum ist bereits beredter Ausdruck von Unrecht und Ungerechtigkeit.
SPRECHER
Den Globus umrundet seit einiger Zeit eine Ideologie namens Neoliberalismus. Sie greift auf eine alte Theorie aus dem 18. Jahrhundert zurück, in der Habgier der Reichen und Ausplünderung der Armen als ökonomische Triebkräfte hochgeschätzt werden.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Bei ... Adam Smith, dem Begründer der modernen Volkwirsschaftslehre, mündet das darin, der sagt, je egoistischer die Einzelnen in ihrem Alltag sind, also Plünderung, Ausbeutung, was auch immer in ihrem Nutzen ist, desto besser für das Gemeinwohl, dadurch wird die höchstmögliche Produktion, Produktivität für die Wirtschaft erreicht.... Und seitdem ist es nicht mehr unanständig reich zu sein, Zinsen zu nehmen, andere Leute auszuplündern, für sich selbst Reichtum anzuhäufen.«
SPRECHERIN
Selbstbereicherung Weniger tut allen gut: so lautet das Lügendogma, das durch soziale Bewegungen für anderthalb Jahrhunderte beseitigt wurde. Heute wird es neu aufgelegt.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Und da ist das Modell, möglichst billige Arbeit, im Idealfall Hausarbeit eben, Im Süden Sklavenarbeit. Die ganzen Fabriken, die in den 70er Jahren von den Konzernen aufgebaut wurden, diese Weltmarktfabriken oder freie Produktionszonen, wo vor allem junge Frauen für einen Apfel und ein Ei arbeiten, eine organisierte Zwangsarbeit oder Sklaverei durchmachen. Da wird es vorgestellt, wie diese Arbeit organisiert wird. Kasernenartig, keine Gewerkschaften usw. Und dieses Modell will man erst einmal zurückübertragen, überall hin übertragen, also auch in die nördlichen Länder selber, die das erfunden haben. Wir nennen das die Rekolonisierung, die Kolonisierung des Nordens. Die Globalisierung der Kolonisierung.«
SPRECHERIN
Kolonisierung und Demokratie passen nicht zueinander. Demokratie wird dann als äußerst hinderlich betrachtet. Denn sie gehört zu einem anderen Zivilisationstypus. In Europa verschlingen sich zwei Arten zivilisatorischer Gestaltung ineinander. Die eine ist die humane, demokratische Willensbildung. Danach sollen Lebensfreundlichkeit und Lebensqualität möglichst für alle erzeugt werden. Sie ist maßvoll. Und die andere Aktion äußert sich in ausgreifenden geld- und maschinenlogischen Interessen. Sie greift immer wieder die lebensfreundliche Gestaltung an und drängt dahin, sie zu überformen und zu vernichten. Dann mündet das Ganze wiederum in Gewalt, Krieg und Zerstörung. Die Jahrhunderte europäischer Geschichte sind voll davon. Und heute ringen diese beiden zivilisatorischen Gestaltungsbewegungen erneut miteinander.
SPRECHER
Während die Armut weltweit zunimmt, versammeln einige Gruppen derartig groteske Geldsummen bei sich, daß sie alles kaufen könnten, wenn man sie ließe. Der Wahnsinn schlägt Kapriolen und hat Methode. Da steht zur Zeit in Indien der Ganges zum Einkauf. Der größte Wasserkonzern der Welt, Suez, hat einen Vertrag mit der indischen Regierung - das Flußwasser zu privatisieren. Ein weiterer indischer Fluß wurde bereits verkauft. Polizeikräfte hinderten im Auftrag des Besitzers Männer und Frauen daran, das Wasser des Flusses wie seit alters her zum Waschen, Fischen, Baden und Bewässern zu nutzen. Das galt auf einmal als Diebstahl. Die Menschen wurden dafür verhaftet. Auf nachhaltigen Protest der Bevölkerung mußte der Verkauf zurückgenommen werden. Aber es wird allgemein anstrengend. Menschen müssen überall für ihre angestammten Rechte kämpfen.
29. O-TON MUSIK BRECHT
Und sie suchten sich dicke Posten, neue Schreibtische
wurden bestellt.
Und sie fühlten sich gänzlich zu Haus. ....
Hier werden wir s recht toll treiben, sagten sie
Hier können wir wundervoll bleiben, sagten sie.
Gut, das sagen die Äste
Aber der Baumstamm schweigt.
Mehr her sagen die Gäste
Bis der Wirt die Rechnung zeigt.
SPRECHERIN
Morgen werden im Irak vielleicht Euphrat und Tigris auf diese Weise privatisiert. Der amerikanische Konzern Bechtel hat bereits von der US-amerikanischen Regierung die Konzession für die Wasserausbeutung im Irak erhalten. Der Irak soll zum Paradies des Neoliberalismus werden; das heißt zur Hölle der Menschen und der Natur. Das soll ein wirksames Kriegsergebnis werden. Es gibt eine Fülle solcher Geschichten aus den südlichen Ländern.
SPRECHER
Und jetzt soll Europa an der Reihe sein. Wer weiß, wann der Rhein feilgeboten wird, wenn Köln und Düsseldorf Geld brauchen. Da gibt es auch noch die Alpen und die wasserreichen Mittelgebirge. Der schottische Gebirgszug der Cuillins auf Skye wurde bereits an einen US-Amerikaner verkauft. Zugang ist nicht gewährleistet. Geschlossene Gesellschaft wird mit den Naturerscheinungen gespielt, die allen Lebewesen gemeinsam sind.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Ausgenommen ist die Creme de la Creme. Die Mittelschicht wird mitgeopfert. ... Es geht in Richtung Eindrittelgesellschaft. Zwei Drittel der Bevölkerung werden der Armut preisgegeben. Das kann man da sehen, wo diese Politik läuft. Wobei Österreich und Deutschland noch relativ besser dastehen, weil sie sich relativ spät dieser Politik angeschlossen haben. Das wird sich aber schnell ändern. Sie denken ja kurzfristig. Wir können die Produktion so organisieren, daß uns die Arbeit nichts kostet. Aber die Managergehälter und die neue Schicht, die sich da gebildet hat. Die ist natürlich ausgenommen. Die kriegen diese Spitzengehälter. ... Im Grunde läuft die Dritt-Welt-isierung, das haben wir ja schon in den 80er Jahren so genannt. Das wird jetzt Realität. Und selbstverständlich kann man den Leuten im Norden nicht sagen, daß sie jetzt kolonisiert werden oder den weißen Männern nicht sagen, daß sie jetzt wie Hausfrauen behandelt werden. Das halten die nun wiederum für eine Lüge. Die Lüge kann man in beiderseitigem Einverständnis gar nicht aufdecken.«
SPRECHERIN
Die Einrichtungen zur Daseinsvorsorge, diese Grundlage einer solidarischen Gesellschaft, sollen an anonyme Großkonzerne zur Ausbeutung verkauft werden. Der Verkauf wird transnational durch Abkommen und in Europa durch die EU erzwungen. Zur Zeit steht das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, (General Agreement on Trade in Services), GATS genannt, auf der Tagesordnung. Claudia von Werlhof erklärt die Machenschaften, die in Geheimverhandlungen - also gegen die betroffenen Bürger - geplant und ausgearbeitet werden.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Das ist immerhin seit 1994/95 in der Welt. Und jetzt eigentlich erst seit 2000 fängt das an aufzufallen. Weil das auch realisiert werden soll. ... In dem Moment, wo das an die Öffentlichkeit kommt, ist eine Diskussion möglich. Aber die meisten Leute denken, was da gewollt wird, kann eigentlich gar nicht sein. Also das ist das Problem. Sie verstehen nicht, was da Ungeheuerliches gewollt wird. Das kann kein normaler Mensch verstehen. ... Aber in dem Moment, wo die Politiker hören: es ist in der Öffentlichkeit. Die Leute diskutieren, fangen an sich aufzuregen, ... dann fangen die noch einmal an zu lügen, ein zweites Mal und sagen. das stimmt ja gar nicht. Das steht ja gar nicht drin. Z.B. Im GATS wird immer behauptet, es gäbe Ausnahmen und bestimmte Bereiche würden gar nicht in Frage kommen, sensible Bereiche wie Erziehung, Gesundheit und Wasser würden nicht privatisiert oder in die Hände von privaten Konzerninteressen geraten. ... Das ist ja alles gelogen. Der Witz an diesem Abkommen ist ja, daß es alle Bereiche, die bisher non-profit waren, bisher nicht der Warenproduktion und der Profitmaximiererei unterlagen, daß die jetzt alle in diese Verwertungspolitik geraten. Das ist der Witz an diesem Abkommen. Und da kann man nicht sagen, diese Bereiche sind ausgeschlossen. Denn das sind ja die Bereiche, die am meisten Geld bringen. Und da geht es ja darum, an das Geld zu kommen, das in diesen Bereichen fließt. Es wird noch mal gelogen. Und da denken die Leute - ja, ja, es ist ja auch normal, es kann ja auch gar nicht sein. Und das ist das Problem, dieser Lüge dann wirklich auf den Grund zu gehen, also zu Ende zu denken, was da wirklich steht. Und das ist nicht nur unsozial, sondern derart verbrecherisch, nicht nur unsäglich inhuman, sondern auch menschheitsvernichtend. Ich weiß gar nicht, welche Worte man noch sagen kann, daß diese Katze natürlich nicht aus dem Sack gelassen werden kann. Es soll niemandem klar werden, welche Ungeheuerlichkeiten da wirklich beschlossen werden. Denn ich meine, Wasserprivatisierung bedeutet ja, daß, wenn man Wasser haben will, und jeder Mensch braucht Wasser, man das bezahlen muß. Und was tun die Leute, die kein Geld haben, die verdursten dann. Das heißt das beinhart. Und das kann natürlich so hart nicht zugelassen werden, daß das formuliert wird. Das ist eine doppelte Lüge. Erst einmal wird verschwiegen, was wirklich gemacht wird, und wenn es an die Öffentlichkeit kommt, dann wird behauptet, es sei nicht so schlimm.«
SPRECHERIN
Vorderhand gilt die Salamitaktik. Der massive Sozialabbau im Renten-, Arbeitslosenund Krankenversicherungsbereich sowie die Errichtung von sogenannten Sonderwirtschaftszonen, dient dazu, Deutschland GATS-reif zu machen. Das Experiment mit Sonderwirtschaftszonen wurde von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in Großbritannien praktiziert. Sie probierte alle unpopulären Verordnungen und Gesetze erst einmal im schwachen Schottland aus. So ist man dabei, das Allgemeine Dienstleistungsabkommen vor Abschluß einzuleiten. Vielfach soll dereguliert werden; man will also Regeln zerstören. Aber nicht unsinnige Bestimmungen für die Bürger sollen fallen, sondern solche, die Großkonzerne daran hindern zuzugreifen, wo sie wollen. Bürgerbeteiligung soll ausgehebelt werden.
SPRECHER
Die Kreuz-Verpachtung oder das Cross-Border-Leasing, dieser an Korruption und Steuerbetrug gemahnende Deal von Kommunalpolitikern mit US-Konzernen gehört dazu. Man überläßt den Konzernen für Generationen die Verfügung über lebenswichtige kommunale Einrichtungen und mietet sie mit steuerlich erlogener Zugabe zurück. Das Manöver trägt den Schein eines kurzfristigen Geldzuflusses. Aber für spätere Tage könnte ein Krieg vorprogrammiert sein, wenn eine Generation kommt, die die Übernahme der Verträge als ungerecht verweigert, und die USA das Recht ihrer Konzerne erzwingen wollen. Politisch ist das alles undurchdacht. Es zählt nur der kurzfristige Effekt.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Und das Problem ... der Leute, die sich damit befassen, ist, daß sie nach und nach aufdecken, was für irrsinnige Folgen das alles hat. Das ist derart atemberaubend, daß es niemand glaubt. ... wenn diese Dienstleistungen wirklich privatisiert werden. Und dann erst kann man anfangen, zu ermessen, was keinem normalen Menschen je in den Sinn käme, eine solche Plünderung auch nur zu denken, Plünderung alles dessen, was für Menschen gut ist, was sie sich Gutes antun können, also d.h. eigentlich aus Liebe zueinander. Und das wird hier plötzlich verkehrt zu einem Plünderungsprojekt. Das kann wirklich niemand verstehen. Also daß sie dieser Lüge so lange wie möglich glauben, ist ja wirklich verständlich.«
SPRECHERIN
Die Grundaussage dieser Politik lautet: Es gäbe keine Alternative. So immer wieder seit 1975 von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher formuliert und seitdem als politisches Unternehmen des Neoliberalismus systematisch verfolgt.
Zitator:
Nein, sagte der Geistliche, man muß nicht alles für wahr halten, man muß es nur für notwendig halten.
Zitatorin:
Trübselige Meinung, sagte K., die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.
SPRECHER
So Franz Kafka in seinem Roman: Der Prozeß.
Wenn Politiker behaupten, es gäbe keine Alternative zu ihrer Politik, dann soll sich die verblüffte Bevölkerung wieder einmal in einem Lügendogma verfangen. Hier gilt was Arendt sagt:
O-TON ARENDT (Wahrheit in der Politik), 1987, S.77)
»Alle diese Lügen ... sind potentiell gewalttätig; jedes organisierte Lügen tendiert dahin, das zu zerstören, was es zu negieren beschlossen hat ... So läuft der Unterschied zwischen traditionellen und modernen politischen Lügen im Grunde auf den Unterschied zwischen Verbergen und Vernichten hinaus.«
SPRECHERIN
Die Aussage könnte also lauten: Jede Alternative soll vernichtet werden.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Deshalb ist auch Neoliberalismus so eine Lüge, hier gehts nicht um was schönes Freiheitliches, sondern es ist nur Freiheit der Konzerne gemeint, sondern um einen allgemeinen Zwangsapparat. Um den monetären Totalitarismus. Das ist der Neoliberalismus, genau das Gegenteil von dem was er scheint zu sein. Dieser ganze Schein liegt als Lüge über dem ganzen drüber.«
SPRECHER
Das Industriesystem wird zur Zeit von Politikern durch vermeintliche Handlungszwänge in eine tiefe Krise manövriert. Das GATS ist kein herkömmliches Abkommen. Es wird als Prozeß konzipiert, als permanente Bewegung in Richtung Privatisierung durch Großkonzerne. Die Kommunen werden verpflichtet, alle gemeinschaftlichen Güter zum Verkauf auszuschreiben. Von der Zeugung bis zur Grabstätte soll jede menschliche Aktion in Konzernbesitz kommen und dem Geld unterworfen werden.
SPRECHERIN
Kein Konzern ist demokratisch verfaßt. Wenn tendenziell alle gewachsenen Gemeindeeinrichtungen in die Verfügung anonymer Konzerne kommen, wird aus dem Gemeinwesen eine Geld-Wirtschaftsdiktatur mit mechanischer Wahl-Demokratie.
SPRECHER
Das GATS aber enthält noch mehr. Die Wirtschaftsdiktatur mit ihrem totalen Monetarismus, alles in Geld zu verwandeln, könnte tatsächlich in Richtung eines monetären Totalitarismus auslaufen, wenn jede menschliche Handlung der Geldwirtschaft unterworfen würde. Die durch permanente Bewegung erzeugte Instabilität, wenn die Vergeldung nach und nach alles erfassen soll, erinnert an Arendts Analyse der totalen Herrschaft. Darin ist ein wichtiges Element eben dieses ständige Ausgreifen nach immer mehr. Die Menschen sollen nicht zur Ruhe und Besinnung kommen. Das kann nur unter Schleiern von Lügen geschehen.
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Wie einmal ein Politiker der EU in einem Interview gesagt hat: Wenn die Leute wüßten, was wir machen, dann würden sie uns zum Teufel jagen.«
36. O-TON ARENDT (S.78)
»Wenn die modernen Lügen sich nicht mit Einzelheiten zufrieden geben, sondern den Gesamtzusammenhang, in dem die Tatsachen erscheinen, umlügen und so einen neuen Wirklichkeitszusammenhang bieten, was hindert eigentlich diese erlogene Wirklichkeit daran, zu einem vollgültigen Ersatz der Tatsachenwahrheit zu werden, in dem sich nun die erlogenen Einzelheiten ebenso nahtlos einfügen, wie wir es von der echten Realität her gewohnt sind?«
SPRECHERIN
Lügen ist eine besondere menschliche Begabung. Wieweit sie unter Tieren verbreitet ist, können wir nicht wissen, solange wir ihre Sprache nicht verstehen. Menschen verfügen reichlich darüber, weil sie der Einbildungskraft entspringt, wie Arendt bemerkt:
O-TON ARENDT (S.74)
»Der Lügner ... ist der große Nutznießer der unbezweifelbaren Verwandtschaft zwischen dem menschlichen Vermögen, Dinge zu ändern, und der rätselhaften Fähigkeit zu sagen "Die Sonne scheint", während es draußen Bindfäden regnet. Das aber heißt, daß unsere Fähigkeit zu lügen ... zu den wenigen Daten gehört, die uns nachweislich bestätigen, daß es so etwas wie Freiheit wirklich gibt. Die Verhältnisse, unter denen wir leben und die uns bedingen, können wir nur ändern, weil wir ... relativ frei von ihnen sind, und es ist diese Freiheit, die das Lügen ermöglicht und die gleichzeitig von ihm mißbraucht und pervertiert wird.«
SPRECHER
In Zeiten, in denen viel gelogen wird, hat sich die Einbildungskraft verselbständigt und von der Realität entfremdet. Die Phantasie der Reichen ist zur Zeit übermäßig groß im Erfinden von neuen Bereicherungsmethoden. Aber es wird auch die gegenläufige Erfindungsgabe entzündet. Viele Menschen erfinden die demokratische Zivilisation neu. Die beiden gegenläufigen Gestaltungsbewegungen der Zivilisation geraten so in heftige Auseinandersetzungen. Die geld- und maschinenlogische Gruppierung tritt erneut an, alles zu überformen und dadurch der eigenen Formen zu berauben. Die humane demokratische Gruppierung ist dabei, die Menscheit politisch zu vereinigen, ohne Rassen- und Klassenspaltung mittels einer kleinräumigen Demokratie, die sich weltweit vereinigt. Ist da in der räuberischen Globalisierung vielleicht so etwas wie die List der Vernunft am Werk?
O-TON CLAUDIA VON WERLHOF
»Wenn die Lüge nicht mehr beibehalten werden kann, wenn nicht mehr hinter dem Rücken der Leute beschlossen werden kann und gesetzt werden kann, wenn das nicht möglich ist, dann verschwinden diese Abkommen, so wie der Vampir, der das Licht scheut und nicht rechtzeitig Blut kriegt, wieder.«
SPRECHERIN
Die meisten Menschen erliegen nicht der gleichgeschalteten Sinnestäuschung, daß der Kaiser neue prächtige Kleider trägt, wenn er nackt vor ihnen steht. Und angesichts einer Politik, die keine Alternative zuläßt, also einen totalitären Anspruch erhebt, ist es zum politischen Handeln nur ein Schritt, wie Arendt mitteilt:
O-TON HANNAH ARENDT (S.75)
»Wo prinzipiell und nicht nur gelegentlich gelogen wird, hat derjenige, der einfach sagt, was ist, bereits zu handeln angefangen, auch wenn er dies gar nicht beabsichtigte. ...
Wahrheit könnte man begrifflich definieren als das, was der Mensch nicht ändern kann; metaphorisch gesprochen ist sie der Grund, auf dem wir stehen, und der Himmel, der sich über uns erstreckt.«
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DAS SEIFENLIED
Wir haben unsere Brüder
mit Wahlkampfseife bedacht.
Das tun wir das nächste Mal wieder
es hat sich bezahlt gemacht.
Wir schlagen Schaum
wir seifen ein.
Wir waschen unsere Hände
wieder rein.
Wir haben ihn gebilligt
den grossen heiligen Krieg.
Wir haben Kredite bewilligt
weil unser Gewissen schwieg.
Wir schlagen Schaum...
Dann fiel´n wir auf die Beine
und wurden schwarz-rot-gold.
die Revolution kam alleine;
wir haben sie nicht gewollt.
Wir schlagen Schaum...
Wir haben die Revolte zertreten
und Ruhe war wieder im Land.
Das Blut von den roten Proleten
das klebt noch an unserer Hand.
Wir schlagen Schaum...
Wir haben unsere Brüder
mit Wahlkampfseife bedacht.
Das tun wir das nächste Mal wieder
es hat sich bezahlt gemacht.
Wir schlagen Schaum...
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 20.06.05 02:02.
geschrieben von:
cassiel (IP-Adresse bekannt)
Datum: 08.11.2004 03:39