Ein interessanter, ambivalenter, geradezu utilitaristischer Artikel von
Remy Holenstein, der sich als Schweizer Naturwissenschafter seit Jahren mit Themen aus den Bereichen "Politik und Ethik" befasst und 17 Jahre in Südtirol gewohnt hat, über das Ergebnis des Schweizer
Volksentscheids.
Ein "schlechter Verlierer"-Artikel, der nur scheinbar die (direkte) Demokratie nicht angreift, wohl weil die Argumentation sonst zu offen anti-demokratisch wäre
Ein Vollkommentar:
Zitat:Zugegeben, die Annahme dieser Initiative war für uns intellektuelle SchweizerInnen eine ziemlich böse Überraschung, weil wir vielleicht zu stark den Umfragen vertrauten, die eine knappe Ablehnung voraussagten.
Wenn dem so war, dann muss man den Gegnern der VI vorhalten, dass sie aus dem Schuß vor den Bug des Minarettvolksentscheids offensichtlich nichts gelernt haben. Einmal mehr: Umfragen sind Dummfragen
Zitat:Nun ist es anders gekommen und wir sind am Scherben zusammenkehren. Aber ist das auch ein Grund für vermehrte Zurückhaltung gegenüber Volks-Abstimmungen? Nein, sicher nicht. Im Gegenteil, selbst solche Ausgänge können weiterhelfen. Und sie helfen, Schwierigkeiten zu erkennen, so lange sie noch nicht ein Ausmaß wie in der repräsentativen Demokratien angenommen haben.
Grundsätzlich einmal eine lobenswerte demokratische Einstellung, die die Funktion der (direkten) Demokratie als politisches Regulativ erkennt.
Zitat:Was zeigen die Resultate der verschiedenen Kantone?
- Die fünfzig Prozent Zustimmung wurde nur möglich, weil eine nicht zu unterschätzende Zahl der Abstimmenden ein „Zeichen setzen wollten“ – unter der leider falschen Annahme, dass die Initiative abgelehnt werde. Diese Feststellung darf aber nicht davon ablenken, dass eine starke Minderheit sich irrational bedroht fühlt.
Das ist leider nur eine Vermutung bzw. reine Spekulation. Das Volk wird bei der direkten Demokratie nicht nach den Motiven gefragt. Darauf sollte sich ein Naturwissenschaftler eigentlich nicht einlassen.
Zitat:- Es fällt auf, dass innerhalb der Schweiz recht große Unterschiede sichtbar wurden. Die Westschweizerinnen stimmten mehrheitlich „Nein“ und die Tessiner mehrheitlich „Ja“.
- Jene Gemeinden mit hohem Ausländeranteil stimmten mehrheitlich „Nein“. Die ländlichen Gebiete, welche die Ausländer fast nur über die SVP-Propaganda kennen, fürchten sich vor diesen und wollen sie mit dem „Ja“ ausweisen.
Dass das von Italienern "überrannte" Tessin mehrheitlich mit Ja und auch die Kantone mit wenig Ausländern mit Ja stimmten erlaubt keine einfache Erklärung. Letztlich ist es auch hier Spekulation über das warum. Wer Bürger als Opfer von Propaganda hochstilisiert, spricht ihnen die Mündigkeit ab.
Zitat:- Es zeigte sich erneut, dass eine hohe Stimmbeteiligung kein Garant für eine ausgereifte Entscheidung ist. Man kann das so ausdrücken: Eine hohe Stimmbeteiligung bewirkt „Bauchentscheide“ statt „Kopfentscheide“.
Das steht im Widerspruch dazu, dass eine hohe Stimmbeteiligung gemeinhin als Qualitätsmerkmal einer Abstimmung genannt wird. Es gehört zu einer Demokratie und zur Souveränität des Bürgers in einer solchen dazu, dass man es sich nicht aussuchen kann, wie der Bürger seine Entscheidung trifft. Der Bürger ist frei in seiner Entscheidungsfindung, auch sich manipulieren und verarschen zu lassen.
Zitat:- Befragungen zu dieser Abstimmung zeigen, dass jene, die sonst kaum zur Urne gehen mit „Ja“ stimmten – ohne zu wissen, was im Abstimmungstext steht und was dieser tatsächlich bewirken wird.
Umfragen sind immer Dummfragen. Demokratisch zuverlässig ist nur das Ergebnis. Auch hier wieder die unterschwellige Unterstellung dass der Bürger zu dumm sei.
Zitat:- Deshalb gibt es etliche SchweizerInnen, die froh wären, wenn all jene der Abstimmung fernbleiben, die sich nicht wirklich mit der Vorlage befasst haben.
Es gibt auch ca. 49.7% der Abstimmenden, die sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätten. Aber in der Demokratie entscheidet die Mehrheit und es wird niemand gehindert oder gezwungen sich an einer Abstimmung zu beteiligen.
Zitat:Was gibt es aus dieser Abstimmung zu lernen ?
Obschon die weitgehend Uninformierten die Informierteren überstimmten, möchte ich
Noch mal macht der Autor seine latente Verachtung gegenüber dem Volk deutlich bzw. dem Teil den er nach seiner umaßgeblichen Meinung für nicht für informiert hält.
Zitat:keine Abstriche am schweizerischen Abstimmungsrecht zulassen. Insbesondere sollen alle mündigen BürgerInnen weiterhin an allen Abstimmungen teilnehmen dürfen (ohne zu müssen).
Das ist wiederum lobenswert. Der Skandal ist nur schon allein der Gedanke die Schweizer (direkte) Demokratie wegen einen nicht genehmen Ergebnisses zur Disposition zu stellen, auch wenn dies hier verneint wird.
Zitat:Das begründe ich so:
- Ich beobachte, dass die Parlamente in Europa oft ähnlich tragische Beschlüsse fassen, wenn es um Zuwanderer aus dem Süden geht.
Was wäre wenn es anders wäre? Wäre der Autor dann für den Parlamentarismus? Heiligt der Zweck die Mittel?
Zitat:- Deshalb bin ich überzeugt, dass diese Abstimmung in den umliegenden Ländern nicht wesentlich anders ausgefallen wäre.
Deshalb unterbinden ja auch die Politmarionetten in der EU die Einführung von (direkter) Demokratie.
Zitat:- Einsame Regierungsentscheide schaden mehr als sie nützen. Deshalb gilt es stets dafür zu sorgen, dass das Volk mitkommt und mitzieht.
Das kommt darauf an: wem sie schaden und wem nützen. Die einsamen Entscheide der EU-Politmafia nützt sehr wohl: ihren Spezies aus der Wirtschaft und ihnen. Dem Volk schaden sie.
Zitat:- Die Abstimmung hat auch nützliche Wirkungen:
o Die Aufgeklärteren müssen sich nun die Frage stellen, ob sie richtig argumentierten ? Und warum ihre Argumente die „einfachen Leute“ nicht erreichen?
Hier sei auf die zu Anfang sich aus in Sicherheit wiegende Umfragen ergebende angesprochene Arroganz gegenüber dem Volk verwiesen. Wer das Volk oder Teile davon als uninformiert und damit als unqualifiziert abstempelt, überzeugt nicht. Im Gegenteil: diese Verachtung des Volkes wird ihm von diesem zurückgegeben.
Zitat:o Bezüglich der moralischen Anliegen müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass in den vorausgehenden Gesprächen praktisch nur über wirtschaftliche Aspekte gesprochen wurde. Warum haben sie die ethische Anliegen ausgeklammert?
Vielleicht weil es den von einer meinungsmachenden, neoliberalen Wirtschafts-Elite und ihren Politmarionetten nur um ihr Wohl geht und nicht um das des Volkes? Welcher Politiker und welche Firma gibt das schon zu und das müssten sie um diese Wirtschafts-Union widerspruchsfrei zu begründen.
Zitat:o Warum durfte die SVP ungebremst und unwidersprochen ihre Lügen verbreiten ?
Wenn die Gegenseite selbst nicht ehrlich ist, ist es schwer und wird schnell unglaubwürdig, den Gegner als Lügner zu diffamieren. Solange er nicht um die Interessen der Bürger geht, wird sich an der verlogenen Argumentation beiderseits nichts ändern. Patt. Die belogenen Lügner haben keinen Grund zur Klage.
Zitat:o Warum lässt man zu, dass immer mehr Misstrauen gestreut wird und so der Spalt zwischen Informierten und Nichtinformierten sich vergrößert.
Auch hier gilt: wer es nicht ehrlich mit dem Volk meint, der wird von ihm bestraft. Dann ist auch eine emotionale Entscheidung gerechtfertigt, allein aus der Tatsache heraus, dass jemand versucht mich zu übervorteilen.
Zitat:o Warum vermeiden die bürgerlichen PolitikerInnen tunlichst, darauf zu verweisen, dass die Schwierigkeiten, welche die ärmeren Schichten in der Schweiz plagen, nicht durch die Ausländer, sondern durch den Kapitalismus, die Gier und die Bequemlichkeit der eigenen Leute verursacht werden?
Jetzt kommen wir dem Kern der Sache näher. Die Antwort ist ganz einfach: weil sie selbst Vasallen, Marionetten des Kapitalismus, der neoliberalen Wirtschaftsmafia sind. Nämlich wenn sie es täten, dann müssten sie zugeben, dass sie nichts dagegen getan haben, schlicht als Politiker in ihrer Verantwortung versagt haben. Stattdessen versucht man das Volk mit faulen Floskeln zu überreden, zu manipulieren und einzuschüchtern. Wenn ein solcher Plan nicht aufgeht ist das nur ein Gewinn für die Demokratie, auch wenn die Gegenseite nur der Einäugige unter den politisch Blinden ist.
Zitat:Aus diesen Fragen ergeben sich auch mehrere Antworten und Verbesserungsvorschläge, die jetzt aufgegriffen und umgesetzt werden müssen.
Ich befürchte, dass die Schweizer Politiker den Stellungskrieg gegen das Schweizer Volk weiter betreiben und weiter versuchen werden verbissen "Geländegewinne" gegen den Willen des Volkes zu erzielen.
Zitat:Darüber hinaus ist mir in der derzeitigen Lage vor allem wichtig zu betonen, dass die Haltung jener Politiker nicht zukunftsfähig ist, die noch immer meinen: „Wir sind die gebildeten Volksvertreter und müssen für das ungebildete Volk entscheiden, weil sonst nichts vorwärts geht.“
Leider ist dieser Typus von Politiker weit verbreitet und es sieht nicht nach einer 180° Wende aus. Das einzige was gegen solche Politiker hilft: noch mehr (direkte) Demokratie.
Zitat:Wir BürgerInnen wollen aber oft nicht, dass es so vorwärts geht wie die Abgeordneten wollen, denn das führt zu starken Schäden. Deshalb ist es wichtig, dass wir bei Bedarf die „Notbremse“ ziehen können – dann, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich mit einer Entscheidung des Parlaments nicht abfinden kann. Initiativen und Referenden sind solche Notbremsen. Sie werden nicht grundlos gezogen, weil sie viel Aufwand und Geldmittel erfordern.
Auch dieser Volksentscheid mit seinem Ergebnis so wie es ist war einer notwendige Notbremse. Im Umkehrschluß hätten die Politiker einfach so weitergemacht wie bisher, obwohl viele unzufrieden, aber nicht in der Mehrheit waren. Ich kann mir auch viele Solidaritäts-"Ja"s vorstellen.
Zitat:Selbst dann, wenn eine Initiative etwas fordert, das unmoralisch oder grundfalsch ist, muss eingesehen werden, dass dahinter ein Problem steckt, das gelöst werden will.
Im Hinblick auf die Abstimmung vom vergangenen Sonntag in der Schweiz bedeutet das: Selbst dann, wenn eine Initiative etwas fordert, das unmoralisch oder grundfalsch ist, muss eingesehen werden, dass dahinter ein Problem steckt, das gelöst werden will. Das ist wichtig, weil bei Nichtbeachtung die Schäden schnell anwachsen.
Das wäre die logische Herangehensweise einer Politik, die es ehrlich mit dem Volk meint. Das ist nur leider nicht der Fall. Wer sich als Vasall der Wirtschaftsmafia profiliert, dem glaubt das Volk nicht mal mehr die Uhrzeit.
Zitat:
Welchen Weg die Politik jetzt einschlagen wird, ist schwer voraussehbar. Denn die
Nein, das ist nicht schwer. Die chauvinistischen Politprofis werden weitermachen wie bisher, denn sie fühlen sich mehr ihrem Wohl und dem Wohl ihrer Spezies aus der Wirtschaft verpflichtet. nicht dem Volk.
Zitat:GesetzmacherInnen stehen vor dem Problem, dass die Initiative Regelungen verlangt, die im Widerspruch zu den von der Schweiz unterzeichneten Menschenrechten wie auch zu den bilateralen Verträgen mit der EU stehen.
Jetzt macht der Autor aber ein Faß auf und schlägt sich auf die Seite der Anti-Demokraten, die der (direkten) Demokratie mit vermeintlich "höheren" Werten das Wasser abgraben wollen. Das Totschlagargument "Menschenrechte" muss mal wieder dafür herhalten, obwohl
1. dies nur die unmaßgebliche Meinung des Autors ist
2. kein Gericht der Welt eine solchen Widerspruch festgestellt hat
3. Menschenrechte nicht gleich Menschenrechte sind
4. nicht alle Menschenrechte absolut gelten, sondern durchaus eingeschränkt werden dürfen z.B. das Recht auf Eigentum, wie jeder an seinem Steuerbescheid erkennen kann
5. niemand nach der demokratischen Legitimation der Menschenrechte fragt
Und in wie fern ein Widerspruch zu irgendwelchen Verträgen besteht kann schon dahingestellt werden.
Zitat:Wir Nein-Stimmenden hoffen, dass die EU sich auf keinen faulen Kompromiss mit der Schweiz einlässt.
Fragt sich mit wem sich der Autor als Nein-Stimmender hier solidarisiert: einer EU durch und durch undemokratischen EU, die eben keine (direkte) Demokratie kennt.
Zitat:Dann stehen für die schweizerischen Behörden zwei Möglichkeiten offen. Entweder sie setzen die geforderten Regelungen rasch um, oder sie schieben sie „auf die lange Bank“. Setzen sie sie rasch um, dann können sich schon nach kurzer Zeit große Nachteile zeigen, ohne dass die behaupteten Vorteile eintreten. Das öffnet Tür und Tor für die Rückkehr zum Zustand vor der Abstimmung.
Der Autor malt den Teufel an die Wand. Dass die Nachteile eintreten bzw. die Vorteile ausbleiben ist
1. nur wieder seine unmaßgeblich Meinung
2. in keinster Weise erwiesen
3. zeugt von dem Willen des Autors man solle das Volk absichtlich mit seinem Entscheid vor die Wand fahren lassen, sprich weiter die berechtigten Interessen des Volkes ignorieren
Zitat:Es liegt an uns, ein ernsthaftes Überdenken unserer Grundwerte anzuregen
Nur – wir wollen keine Rückkehr zum jetzigen Zustand, denn dieser ist nicht zukunftsfähig.
Das würde aber ein Umdenken in Politik- und Wirtschaftsmafia voraussetzen. Dafür gibt es keine Anzeichen. Im Gegenteil: es wird auf das Schweizer Volk von allen Seiten eingedroschen.
Zitat:Deshalb wünsche ich mir, dass die Regierenden die nächsten Monate und Jahr dazu nützen, um mit dem Volk in einen ernsthaften Dialog darüber zu kommen, wie künftig das Gesamtinteresse wieder vermehrt gegenüber den Individualwünschen in den Vordergrund gerückt werden kann.
Ein frommer Wunsch. Dem steht eine korrupte, beratungsresistente, chauvinistische classe politique gegenüber, denen die Interessen des Volkes am Arsch vorbei gehen.
Zitat:Es liegt an uns, ein ernsthaftes Überdenken unserer Grundwerte anzuregen. Nur so können wir erreichen, dass in den Parlamenten und der Öffentlichkeit das, was das Volk will, zum Thema wird statt dass fast nur über wirtschaftliche Anliegen geredet wird.
Das Volk hat gesprochen. Es liegt an den Politikern ihre Korruption zu überdenken und auf den Pfad der Tugend zurückzukehren und dass es nicht mehr nur um die Interessen der Wirtschaftsmafia geht.
Zitat:Abschließen möchte ich mit einem Vorschlag, den ich nicht ernst meine. Aber ich hoffe, dass er ebenfalls zum Weiterdenken anregt. Ich schlage vor, dass alle Abstimmungswilligen nachweisen müssen, dass sie den Abstimmungstext gelesen und verstanden haben. Doch ich nehme den Vorschlag sofort wieder zurück, weil wir dann alle Parlamente abschaffen müssten. Oder kann mir jemand auch nur einen einzigen Politiker zeigen, der alle seine Unterlagen gelesen und obendrein auch noch verstanden hat?
Bezeichnend für die ambivalente, utilitaristische und rückwärtsgewandte Haltung des Autors. Er hätte gerne am liebsten weniger (direkte) Demokratie, wenn es denn bessere, sprich ihm genehmere Ergebnisse erzielen würde. An der Erkenntnis, dass er dabei vom Regen in die Traufe kommt, kommt er allerdings nicht vorbei, weshalb er zähneknirschend die (direkte) Demokratie weiter akzeptiert, aber im Grunde sich einen "weisen König" (er selbst?) wünscht, der alles ohne dieses dumme Volk richtig macht, so wie er es für richtig hält.