Zitat:Das Schweizer Stimmvolk hat es der Welt wieder einmal gezeigt. Während sie in New York kreischend die Wall Street auf und ab rennen und die Madrileños sich an der Puerta del Sol kollektiv empören, die deutschen Wortführer in ihren Feuilletons die verbalen Klingen wetzten, die Athener ihre Innenstadt demolieren und die Franzosen wieder einmal streiken, wirft der Schweizer an einem herkömmlichen Sonntag, unspektakulär und ohne großes Halali, sein „Ja“ in die Urne.
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Was ganz Europa seit der Finanzkrise unisono fordert, bringt in der Schweiz eine simple Volksinitiative: Es ist Demokratie in ihrer schönsten Form.
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Eine Bemerkung des EU-Kommissars ¦efčovič unterstreicht die Schwäche der EBI: „Entweder wir folgen der Initiative, wir machen Änderungen bei ihren Texten oder wir machen gar nichts.“ Gleiches hätte auch ein absolutistischer Monarch sagen können.
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Wie aber soll in einem supranationalen Gebilde ein gesundes Demokratieverständnis entstehen, wenn die Mitgliedstaaten in puncto Demokratiepartizipation Entwicklungsländern gleichen?
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Deutschland kennt sie durchaus, die direktdemokratischen Instrumente. Sich ihrer zu bedienen, ist aber in etwa so attraktiv wie der Besuch einer deutschen Amtsstube. Langatmig, ineffizient, unübersichtlich und voller Hindernisse.
Bestes Beispiel: das Saarland. 5.000 stimmberechtigte Bürger müssen einen Antrag auf ein Volksbegehren unterschreiben und ans zuständige Ministerium senden. Der Landtag entscheidet innerhalb dreier Monate, ob das Begehren zulässig ist. Dann haben die Initiatoren genau zwei Wochen (!) Zeit, um 20 Prozent der 800.000 Saarländer Stimmberechtigten für ihr Anliegen zu gewinnen. Man stelle sich vor: 160.000 Unterschriften in 14 Tagen, das macht 11.500 Unterschriften pro Tag. Und die Initiatoren dürfen die Stimmen nicht einmal auf den Straßen sammeln. Der Unterstützer muss sich auf einer Amtsstube einschreiben.
Ausschweifendes Beamtentum und Demokratie reichen sich die Hand: keine attraktive Vorstellung.
Immerhin, so denkt sich der aufgeklärte Bürger, kann theoretisch mit solch einem Volksbegehren die lokale Politik beeinflusst werden. Im Saarland aber auch das nur beschränkt. Finanzwirksame Gesetze, also Bestimmungen über Steuern, den Staatshaushalt, Staatsleistungen und Besoldungen sind von Volksbegehren ausgeschlossen, genauso Verfassungsänderungen. Es überrascht also nicht, dass eine aktive Bürgerbeteiligung nicht zu den Aushängeschildern des Saarlandes gehört. Ein erfolgreiches Volksbegehren kam noch nie zustande – die letzte Volksabstimmung ereignete sich 1955, als über die Zukunft des Saargebiets befunden wurde. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt“, steht im Artikel 61 der saarländischen Landesverfassung. Zynismus in seiner reinsten Form.
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Wird dem Bürger die Kompetenz über gewisse Bereiche vollständig abgesprochen, beraubt man ihn seiner Mündigkeit.
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Die Verfassung definiert das Volk als Souverän, dieses hat das letzte Wort, sei es in Form von Wahlen oder Abstimmungen.
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Schlussendlich liegt es aber an jedem Bürger selbst, seine Souveränität einzufordern.