Zitat:Fast jedes Jahr kommt Neumann am ersten Sonntag im Mai auf den Zaunplatz in Glarus an die Landsgemeinde. Er, der Deutsche, beobachtet fasziniert die Glarnerinnen und Glarner, die »hochvertrauten Mitlandleute«, wie sie sich unter freiem Himmel treffen, um unter dem Machtschutz Gottes »zu raten, zu mindern und zu mehren«. So wie sie das seit 1387 tun.
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Peter Neumann selbst war nicht immer ein Anhänger der direkten Demokratie. Als Referendar an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer schrieb er eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema. »Begeistert war ich nicht«, erinnert er sich. Nach und nach aber sah Neumann, wie fehlerhaft die deutsche Fachliteratur zur direkten Demokratie war. Und die Repetitoren empfahlen ihren Studenten für die mündliche Staatsrechtsprüfung: »Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, dann sagen Sie einfach: Weimarer Erfahrung – das stimmt im Zweifel immer.« Dabei waren es Wahlen, nicht die Volksentscheide, die damals den Radikalen als Plattform dienten, Deutschland ins Chaos stürzten und später die Nationalsozialisten an die Macht brachten.
Da packte es den Juristen. Vielleicht ist doch etwas dran an Volksinitiative und Referendum. Ja, der Rheinländer aus konservativem christlichen Elternhaus fand gefallen an der anarchistischen Macht aus dem Volk für das Volk.
Heute ist Neumann ein Fan der direkten Demokratie: »Ich war wohl schon häufiger an einer Landsgemeinde als viele Schweizer.«
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»Mit allen habe ich geredet: Müntefering, Möllemann, Rüttgers...« Genützt hat es wenig. Zwar wurde in NRW die Volksgesetzgebung reformiert, aber noch immer tut sich Deutschland schwer mit direkter Demokratie – auch nach den Piratenpartei-Erfolgen und den Erfahrungen mit der Abstimmung über Stuttgart 21. »Es ist eine Machtfrage«, sagt Neumann im Flüsterton, als wir im Reisecar von Aarau nach Bern fahren. Direkte Demokratie fordere in Deutschland jeweils nur jene Partei, die gerade in der Opposition sei. Wer in der Regierung sitzt, will seinen Einfluss nicht teilen – schon gar nicht mit dem unberechenbaren Volk.
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Aber wenn die jungen Deutschen erst einmal auf den Gästeplätzen im Ring sitzen würden und erlebten, wie Tausende Menschen ihr politisches Schicksal selbst in die Hand nehmen, würden sie übermannt: »Mit Tränen in den Augen schreiben die Studentinnen Postkarten an ihre Professoren: Fahrt in die Schweiz, seht euch das an!«
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Peter Neumann lässt sich nicht beirren. Ein Landsgemeinde-Gipfeli in der Rechten, einen Kaffee in der Linken, genießt er die letzte Abstimmung. »Mitbestimmen, beteiligen – das ist Kokolores! Es geht ums Entscheiden.« ...