Zitat:Dennoch findet sich auch hier ein Widerstandsrecht. Die Vorschrift wurde 1968 bei Erlass der Notstandsverfassung – sozusagen als Beruhigungspille – ins Grundgesetz eingefügt. Art. 20 Abs. 4 GG lautet:
„Gegen jeden der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Die Voraussetzungen („Ordnung beseitigen“) sind allerdings so eng, dass die herrschende Staatsrechtslehre der Vorschrift lediglich eine Symbolfunktion zuerkennt.
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Dabei fordert eine – eigentlich für Bananenrepubliken gedachte – Antikorruptions-Konvention der Vereinten Nationen Deutschland seit langem auf, einen wirksamen Straftatbestand gegen die Korruption von Abgeordneten zu erlassen, bisher erfolglos.
Zitat:Der Widerstandsersatz-Charakter von Volksentscheiden ist dann offensichtlich, wenn die Initiative von unten kommt, durch Volksbegehren aus der Mitte des Volkes. Derartiges gibt es bisher nur in Kommunen und Ländern. Auf Bundesebene werden Volksbegehren und Volksentscheid den Bürgern vorenthalten.
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Eigentlich müsste auch die Möglichkeit, Politiker abzuwählen bzw. nicht wieder zu wählen, ein Mittel des Widerstandes sein. Karl Popper erblickt geradezu das Wesen der Demokratie darin, schlechte Politiker ohne Blutvergießen wieder loszuwerden. Aber besitzen wir in der Bundesrepublik eigentlich diese Möglichkeit? Können nicht eigentlich abgewählte Regierungschefs durch geschickte Koalitionspolitik ihre Stellung doch behaupten? Nicht einmal unfähige Bundestages- oder Europaabgeordnete kann der Wähler wieder loswerden, solange die Partei an ihnen festhält und sie bei Wahlen auf sichere Listenplätze setzt oder in sicheren Wahlkreisen aufstellt.
Ein anderes Mittel des kleinen Widerstandes der Normallage sind Klagen vor Verfassungsgerichten.
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Häufig kann der Bürger selbst gegen grobe Verfassungsverstöße allerdings gar nicht klagen. Dabei geht es nicht nur um die überzogene Altersversorgung vieler Politiker, um steuerfreie Bezüge, um die verfassungswidrige Selbstbewilligung von Extra-Diäten, um die fehlende Strafbarkeit von Abgeordnetenkorruption oder das unkontrollierte Aufblähen von Fraktionen und persönlichen Mitarbeitern von Abgeordneten im Bundestag und in den Landtagen, das sich inzwischen auf über 400 Millionen Euro im Jahr beläuft.
Zitat:Fasst man das Ganze ins Auge, so erkennt man eine politische Klasse, die sich nach dem Motto „der Staat sind wir“ von den Bürgern abschottet und eine neue Form des Absolutismus bildet, einen parteienstaatlichen Absolutismus: Die politische Klasse ist auf höchst raffinierte Weise „legibus absolutus“, das heißt von der Bindung an die für alle geltenden Normen befreit. Formal unterliegt sie zwar den Gesetzen. Doch die macht sie selbst – in ihrem Sinne. Formal unterliegt sie auch dem Grundgesetz. Doch das kann sie ändern, und die Richter, die das Grundgesetz auslegen und damit verbindlich erklären, was es besagt, bestimmt sie selbst nach ihren Vorstellungen – und äußert öffentliche Entrüstung, wenn das Gericht mal nicht „spurt“. Zudem wird den Bürgern, die Verfassungswidriges vors Gericht bringen wollen, oft die Klagebefugnis vorenthalten – nach einer Prozessordnung, über die wiederum die politische Klasse disponiert. Im Wettrennen von Hase und Igel gleicht das Volk dem Hasen.
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Wenn nun aber schwere Rechtswidrigkeiten der Staats- und EU-Organe vorliegen, gegen die der Bürger keine Klagemöglichkeit zu den Gerichten besitzt, muss dann nicht wenigstens ziviler Ungehorsam möglich sein, der dann gerade nicht rechtswidrig, sondern in Wahrnehmung des Widerstandsrechts erlaubt wäre?
Die Existenz von Widerstandsrechten ist allerdings nur notwendige Voraussetzung, reicht aber noch lange nicht hin. Von den Rechten auch Gebrauch zu machen, verlangt zusätzlich eine bestimmte innere Haltung, die man kurz mit Gemeinsinn und Zivilcourage umschreiben kann. Wie wir uns auch drehen und wenden: Wir kommen an der Erkenntnis nicht vorbei, dass die Durchsetzung der nötigen Verbesserungen unseres Gemeinwesens „unsere Aufgabe ist und wir nicht darauf warten dürfen, dass auf wunderbare Weise von selbst eine neue Welt geschaffen werde“ (Karl Popper). Politik ist nun mal zu wichtig, als dass man sie allein Berufspolitikern überlassen dürfte.