Zitat:„Gefahr für Demokratie“
Der Gesetzesentwurf der Initiative verstoße gegen das Demokratieprinzip, erklärten die Richter am Donnerstag nach einer einstimmigen Entscheidung. Das Übergewicht der parlamentarischen Gesetzgebung dürfe nicht in Frage gestellt werden.
Zitat:„Die vorgeschlagene Neugestaltung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid verstößt in zentralen Punkten gegen unverrückbare Grundentscheidungen der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg“, erklärte der Vorsitzende Präsident des Gerichts, Friedrich-Joachim Mehmel.
Zitat:Der Senat hatte die Rechtmäßigkeit der Initiative bezweifelt und im vergangenen März das Verfassungsgericht angerufen.
Zitat:Manfred Brandt, Mitinitiator und Vorstand des Vereins „Mehr Demokratie“, äußerte sich enttäuscht: „Damit habe ich so nicht gerechnet. Das ist die Heiligsprechung der Parteiendemokratie.“ Verfassungsänderungen durch das Volk seien praktisch nicht mehr möglich. „In der Schweiz ist es unvorstellbar, dass ein Gericht so entscheidet“, sagte er mit Blick auf die zahlreichen Volksabstimmungen im Nachbarland.
Zitat:Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) sagte dagegen: „Natürlich freut es mich, dass die Vorrangstellung der parlamentarischen Demokratie bestätigt worden ist.“ Sie betonte zugleich, dass die Hamburger Verfassung bereits starke Beteiligungsmöglichkeiten für Volksinitiativen vorsehe.
Zitat:Unzulässig sei das Volksbegehren, weil es das sogenannte Kopplungsverbot verletze.
Zitat:Der Entwurf ist nach Überzeugung der Richter auch in seinen einzelnen Punkten nicht mit höher rangigem Recht zu vereinbaren. Eine Verfassungsänderung dürfe den Kernbereich der geltenden Verfassung nicht verletzen. Demnach werde die Volkswillensbildung grundsätzlich durch die Bürgerschaft als gewähltes Verfassungsorgan ausgeübt. Auch im Grundgesetz sei die repräsentative Demokratie als Staatsform festgelegt.
Zitat:Eine festgelegte Mindestbeteiligung bei Volksabstimmungen schütze die Mehrheit vor einer gut organisierten Minderheit. Die Quoren an die von in der Bürgerschaft repräsentierten Wählerstimmen zu knüpfen, verbiete sich. Die Abgeordneten repräsentierten nach der Verfassung das gesamte Volk, nicht nur ihre Wähler. In diesem Zusammenhang kritisierten die Richter sogar die bestehende Volksgesetzgebung. Diese sei „nicht unbedenklich“.
Zitat:Die Initiatoren repräsentierten nicht das Volk. „Souverän muss sein, wer die vorgelegte Frage beantwortet, nicht wer sie stellt“, betonten die Verfassungsrichter. Darum müsse es auch ein Quorum für die Zulassung einer Volksentscheidung geben.
Zitat:Die Verfahrensbevollmächtigte des Senats, Staatsrätin Katja Günther, sprach von wichtigen Klarstellungen des Gerichts. Die Bürger müssten Klarheit haben, worüber sie abstimmten. Zudem dürften die Abstimmungsquoren nicht so weit gesenkt werden, dass eine kleine Minderheit Gesetzesänderungen oder sonstige politische Richtungsentscheidungen erwirken könne, die dann für alle gelten.
Auch die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP begrüßten das Urteil. „Genau zum Jubiläum der ersten demokratischen Wahl der Hamburgischen Bürgerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Verfassungsgericht Manfred Brandts erneuten Angriff auf den Parlamentarismus klar für rechtswidrig erklärt“, erklärte CDU-Fraktionschef André Trepoll. Das Urteil sei ein Sieg für die Demokratie in Hamburg.
Zitat:„Damit haben wir nicht gerechnet. Dass das Hamburgische Verfassungsgericht unseren Gesetzentwurf in einigen nachrangigen Punkten beanstanden würde, war zu erwarten. Dass aber nach der erfolgreichen Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ die zweite Stufe, das Volksbegehren, überhaupt nicht stattfinden darf, überrascht uns doch sehr. Wir werden jetzt im Trägerkreis, dem etwa 20 Bürgerinitiativen angehören, sehr ausführlich diskutieren müssen, was wir jetzt noch tun können, damit die Möglichkeit von Volksabstimmungen „von unten“ nicht nur auf dem Papier steht“, so Manfred Brandt, einer der drei Vertrauensleute und Vorstandsmitglied beim Landesverband von Mehr Demokratie. Verfassungsgerichtspräsident Friedrich-Joachim Mehmel verlas die Begründung des einstimmig gefällten Urteils. Danach seien zwar die formellen Voraussetzungen für das Volksbegehren nicht zu beanstanden gewesen, aber bei den Inhalten sah das Gericht einen durchgehenden Verstoß gegen höherrangiges Recht. Außerdem sei das Kopplungsverbot nicht beachtet worden – soll heißen: Sachverhalte, die nicht unmittelbar miteinander zu tun haben, dürfen nicht verknüpft werden. Sprecher des Trägerkreises sahen dies naturgemäß anders: „Wir haben eine Paketlösung vorgelegt, durch die Hamburgs Demokratie gestärkt werden sollte“, so Brandt. „Das Urteil klingt wie eine Heiligsprechung der Parteiendemokratie. Es sieht aber auch nach einer Generalabrechnung mit der direkten Demokratie aus, die bekanntermaßen nicht allen Entscheidungsträgern gefällt.“ Im Initiativenbündnis befürchten jetzt viele, dass die Volksgesetzgebung in Hamburg künftig nicht mehr praktikabel sein werde. Durch seine Verfassungsänderung im Windschatten des Olympia-Referendums haben sich Senat und Bürgerschaft die Möglichkeit eingeräumt, unliebsame Initiativen jederzeit auszubremsen. Wie sich jetzt zeigt, hat sich die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ dagegen vergeblich gewehrt.
Welche praktischen Konsequenzen der Spruch des Landesverfassungsgerichts für die Aktivitäten von „Rettet den Volksentscheid“ haben wird, ist noch nicht ganz klar. Ursprünglich sollte die dreiwöchige Straßensammlung für das Volksbegehren im Juni dieses Jahres stattfinden. Nachdem der Senat beim Verfassungsgericht die Überprüfung des Gesetzentwurfs beantragt hatte, verschob sich der Zeitplan. Die Initiative stellte sich auf die drei Wochen Unterschriftensammlung vom 14. Dezember bis zum 3. Januar ein – den letztmöglichen Termin also, um im Falle eines Erfolgs den Volksentscheid als dritte und letzte Stufe des Verfahrens am Tag der Bundestagswahl 2017 abhalten zu können. Brandt: „Für alle, die Volksabstimmungen für eine wichtige Ergänzung der parlamentarischen Demokratie halten, ist der Spruch des Hamburgischen Verfassungsgerichts ein herber Schlag. Leider wird er wohl auch Auswirkungen auf andere Bundesländer haben. Auch deswegen kann und darf das nicht das letzte Wort gewesen sein.“