Mehr Demokratie e.V. - Landesverband NRW
Pressemitteilung 03/14 - Köln, 19.01.2014
Essenern ist Messe-Teilneubau zu teuer
Bürgerbegehren gegen Modernisierungspläne im Bürgerentscheid erfolgreich
Den Essenern ist der geplante Teilneubau der Messe zu teuer. 50,4 Prozent der Abstimmenden haben die Modernisierungspläne am Sonntag in einem
Bürgerentscheid abgelehnt. Damit war ein von Grünen und Linken initiiertes .Bürgerbegehren erfolgreich. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 28,8 Prozent. Die Stimmenzählung war ein wahrer Krimi. Der Sieg des Bürgerbegehrens stand erst kurz vor Ende der Auszählung fest.
"Die Entscheidung der Wähler in Essen muss für die Messe keinen Stillstand bedeuten. Die Bürger haben nur die vom Rat beschlossene Modernisierungsvariante abgelehnt. Alternativen dazu sind möglich", erklärte
Alexander Trennheuser, Landesgeschäftsführer von
Mehr Demokratie e.V.. Er zeigte sich erfreut, dass das Bürgerbegehren nicht wie drei andere zuvor durch die Abstimmungshürde zu Fall gebracht wurde. Möglich wurde der Erfolg des Begehrens durch eine Senkung der Abstimmungshürde durch den Landtag. Seit 2011 reicht für einen gültigen Bürgerentscheid ein "Ja" oder "Nein" von zehn Prozent der Stimmberechtigten. Zuvor lag die Hürde bei 20 Prozent.
Beim Bürgerentscheid ging es um die Frage, ob die Messe Essen für Kosten in Höhe von 123 Millionen Euro modernisiert werden soll. Der Stadtrat hatte sich im Juli vergangenen Jahres mehrheitlich dafür ausgesprochen. Die Finanzierung sollte durch einen Kredit der Stadt Essen in Höhe von 100 Millionen Euro und durch Mittel in Höhe von 23 Millionen Euro aus dem Budget der Messe Essen sichergestellt werden.
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens befürworten zwar wie die Ratsmehrheit eine wirtschaftlich tragfähige Modernisierung der Messe, die jetzt von den Wählern verworfenen Pläne zur Messeertüchtigung lehnen die Parteien wegen aus ihrer Sicht nicht berücksichtigter Kostenrisiken, nicht nachgewiesener Wirtschaftlichkeit und unnötigen Investitionen mit Investorenmodellen jedoch ab. Durch die hohen Kosten für den Teilneubau der Messe sahen Grüne und Linke Mittel für zwingend notwendige Investitionen in Schulen, Sportanlagen, Kultureinrichtungen, Bäder und Straßen sowie im sozialen Bereich gebunden.
Befürworter der Messe-Modernisierung hatten argumentiert, dass die Messe ohne den Teilneubau in Zukunft nicht mehr wettbewerbsfähig sein werde. Andere Messestädte in Deutschland hätten mit einem wesentlich höheren finanziellen Aufwand längst Modernisierungsschritte vollzogen. Ohne die Modernisierung in Essen würden viele bedeutende Messen abwandern. Andere Projekte der Stadt müssten wegen der Modernisierung der Messe nicht gestrichen werden.
Mehr Informationen:
Bürgerentscheid über Teilneubau der Messe Essen
Thorsten Sterk
Pressesprecher
Warum Essen die Hauptstadt der direkten Demokratie ist
Zitat:
Noch mal ein Blick in die Geschichte: 2001 hatten die Essener über den Erhalt von Bädern und Sportstätten abgestimmt, 2007 gab es zwei Bürgerbegehren für den Erhalt von Sportstätten und gegen die Privatisierung städtischer Unternehmen und Einrichtungen.
Alle drei scheiterten an den damals hohen Quoren, wären aber nach heutigem Recht alle drei erfolgreich gewesen. So nimmt es nicht wunder, dass die Initiatoren von Bürgerentscheid Nummer vier, der nach der Reform abgehalten wurde, diesen gewannen: 2013 erzwangen die Bürger im Stadtbezirk II die Beibehaltung zweier Straßennamen in Rüttenscheid , die nach Generälen benannt sind.
Für Essen geht es laut OB Paß nach Messe-Entscheid abwärts
Rathäuser fürchten um Großprojekte
Zitat:
In vielen Rathäusern geht nun die Sorge um, ob noch Großprojekte gestemmt werden können, wenn die Bürger diese so leicht kippen können. Essens OB Reinhard Paß (SPD) sagte, man müsse die Frage beantworten, „wo Bürgerentscheide ihre Grenze“ haben.
Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte glaubt, der Trend zu mehr direkter Demokratie sei gefährlich: „Die Abstimmungen verhindern, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt.“ Wenn nichts passiere, „dann geht es allen im wettbewerbsorientierten Wohlfahrtsstaat schlechter“. Zudem, so Korte, beteiligten sich vor allem Eliten. Das Ergebnis sei oft sozial ungerecht.
Der Politologe Frank Decker (Uni Bonn) widerspricht: „Die direkte Demokratie zwingt Politiker, auf die Menschen zuzugehen.“ Das Votum in Essen käme nicht zufällig: „Viele Bürger glauben, dass die Verschuldung der Städte auch darauf zurückzuführen ist, dass die Politik zu teuren Leuchtturm-Projekten neigt.“
An die eigene Nase fassen
Zitat:
Diejenigen, die das Abstimmungser-gebnis beklagen, sollten sich auch einmal an die eigene Nase fassen.
Wer meint, dass die Wähler die Wichtigkeit der Messe-Modernisierung nicht verstanden haben, hat sie selber vielleicht schlecht erklärt. Wer Mehrheiten für seine Projekte will, muss die Wähler überzeugen.
Schweizer Politiker erzählen gerne, dass sie durch die direkte Demokratie immer wieder zum Erklären gezwungen werden.
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Im Vergleich mit der Schweiz sind die Hürden für die direkte Demokratie in NRW nicht zu niedrig, sondern immer noch viel zu hoch.
Abstimmungshürden wie das Zehn-Prozent-Quorum in Essen sind den Eidgenossen fremd. Es gilt das demokratische Prinzip „Mehrheit entscheidet“. Wer den Erfolg eines Bürgerbegehrens verhindern will, muss sich der inhaltlichen Ausein-andersetzung stellen und am Bürgerentscheid teilnehmen. Trotz aller Mühen kann man dabei wie bei Wahlen verlieren. Das tut weh, aber es gehört zur Demokratie.