Andreas Auer, em. Rechtsprofessor
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www.nzz.ch]
Zitat:
Dass Regierungen gelegentlich das Volk an der Nase herumführen, gehört weltweit leider zum Allgemeinbestand an politischen Gepflogenheiten, die oft in den zynischen Befund münden, dass «die da oben immer machen, was sie wollen». Dass aber das Volk seine eigene Regierung an der Nase herumführen kann und dafür noch Lob erntet, ist eine Errungenschaft der schweizerischen Direktdemokratie.
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Regierung und Parlament sind in der direkten Demokratie dem Volk direkt verpflichtet.
Im logischen Umkehrschluß sind Regierung und Parlament in der sogen. "parlamentarischen Demokratie" oder institutionellen Diktatur dem Volk nicht (direkt) verpflichtet, sondern nur formal, also de facto gar nicht.
Zitat:
Auch die Stimmbürger sind von diesem eigenartigen "chilling effect" der Volksabstimmung betroffen. Vor dem Urnengang durften sie das Anliegen der Initianten kritisieren, nach der Abstimmung aber verhallt jegliche inhaltliche Kritik am Resultat ins Leere. Kritik an einer Idee oder Vorlage setzt nämlich voraus, dass jemand dafür verantwortlich ist.
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Von allen Staatsorganen ist das Volk das mächtigste, aber auch das abhängigste, denn für sich allein ist es hilf- und machtlos. Weil es zwar sehr konkrete und wichtige Entscheide trifft, aber nicht fassbar, nicht sichtbar, nicht greifbar ist, und sich auch nicht äussern kann, schwingen sich Politiker unverfroren zu seinem Sprachrohr auf.
Das Unvermögen des Volkes, für seine Entscheide Verantwortung zu übernehmen, obwohl Behörden und Bürger zur Erklärung des Abstimmungsresultats nur auf das Volk verweisen können, ist eigenartigerweise die Quelle seiner von keinem anderen Staatsorgan erreichten Legitimität.
Leichter Widerspruch: das Volk muss schon Verantwortung übernehmen, denn schließlich sind es die Bürger, die von der Entscheidung in eigener Sache betroffen sind und mit den Folgen leben müssen. Im Gegensatz dazu treffen Politker immer Entscheidungen in fremder Sache, bzw, die Folgen müssen die Bürger tragen. Politiker können daher ihre Entscheide nur unzureichend verantworten.
Zitat:
Direktdemokratische Entscheide werden allgemein als legitim erkannt und anerkannt, gerade weil sie nicht das Resultat einer politischen Mehrheit sind, die bis zu den nächsten Wahlen die Oberhand hat. Volksentscheide können nur akklamiert oder hingenommen werden; Kritik daran prallt ab an dem sie umhüllenden Mantel der Legitimität.
Dieser Legitimität ist es zu verdanken, dass in der Schweiz selbst die entschiedensten Befürworter der Personenfreizügigkeit nicht einmal daran denken, wegen des für sie so negativen Abstimmungsresultats vom 9. Februar 2014 die direkte Demokratie grundsätzlich infrage zu stellen.
Naja, es gibt schon
schlechte Verlierer in der Schweiz, die offen darüber mehr oder weniger erfolgreich nachdenken wo man die (direkte) Demokratie so einschränken könnte, dass sie die gewünschten Ergebnisse produziert.
Zitat:
Nicht so aber jenseits der Grenze, wo diese Form der Demokratie auf nationaler Ebene nicht existiert oder nicht so weit ausgebaut ist.
Das war vollkommen klar, dass die EU-Politchauvinisten Gift und Galle spucken würden.
Zitat:
Die Häufigkeit von Volksabstimmungen in der Schweiz und die unvergleichbare Vielfalt ihrer Gegenstände bringen es mit sich, dass diejenigen Stimmbürger, die mit einer gewissen Regelmässigkeit daran teilnehmen – das sind nach neuesten Erhebungen mehr als 70 Prozent der Bürger –, gewohnt sind, sich einmal in der Lage der Verlierer und ein anderes Mal in der Rolle der Sieger zu finden. Sie unterliegen daher nicht der Versuchung, die direkte Demokratie aufgrund einzelner Resultate pauschal in den Himmel zu heben oder zu verdammen.
Das ist richtig, aber es gibt - vor allem von linker Seite - immer wieder die Tendenz unliebsame
Volksinitiativen irgendwie institutionell verbieten zu lassen, aber ohne sich anti-demokratisches Verhalten vorwerfen lassen zu müssen. Dazu werden dann gerne vermeintlich "höhere" Werte wie "Menschenrechte" oder "Völkerrecht" bemüht, wohlwissend, dass diese auch keine Naturgesetze sind, nicht absolut gelten, auch Auslegungssache sind und nicht zuletzt selbst einer demokratischen Legitimation bedürfen.
Zitat:
Denn die Magie der direkten Demokratie überlässt den Entscheid über die Gültigkeit eines Volksentscheids dem Volk selbst.